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Widersprüchliche Heimat

Bisher habe der Präsident seine Ausstellung nicht besucht. Rafram Chaddad schmunzelt bei der Vorstellung. Dabei hatte der tunesische Künstler Staatschef Kais Saied sogar zur Vernissage der Schau mit dem Namen „Die guten sieben Jahre“ eingeladen. Spielt die Installation doch direkt auf die jüngste Brotkrise in dem nordafrikanischen Land und eine Bemerkung des Präsidenten an. In seinem Werk beschäftigt sich Chaddad mit den Widersprüchen Tunesiens, dem jüdischen Alltagsleben und der Geschichte seiner Vorfahren.

Auf der südtunesischen Insel Djerba geboren und in Jerusalem aufgewachsen, war Chaddad lange vor allem in Europa tätig. Mit „The good seven years“ stellt der multidisziplinär arbeitende 47-Jährige nun zum ersten Mal in Tunesien aus. In diesen Tagen erscheint zudem ein Buch mit dem gleichen Namen über sein künstlerisches Schaffen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen eine Reihe Videoinstallationen: Stumme Straßenszenen aus der Hauptstadt Tunis auf der einen Seite, Gegenstände aus dem (kulinarischen) Alltag des Landes, wie etwa eingelegte Chili-Schoten, Trockenfisch und alte Baguette, auf der Rückseite. Deren Textur steht im Kontrast zur glatten Oberfläche der Bildschirme, über die immer wieder die Figur eines Mannes läuft, überzogen von der Handschrift aus der Eheurkunde seiner Eltern.

Diese hatten Tunesien 1977 mit dem damals einjährigen Rafram verlassen – so wie die überwiegende Mehrheit der tunesischen Juden. Der politische und gesellschaftliche Druck auf die Gemeinde war nach der Unabhängigkeit Tunesiens von Frankreich 1956 und dem Sechstagekrieg zwischen Israel und arabischen Staaten 1967 immer größer geworden. Doch das Leben der konservativen Gemeinde aus Djerba wurde in Israel weitergeführt. „Wir haben in einer tunesischen Blase gelebt, den Dialekt gesprochen, tunesisch gekocht. Wir sind als Tunesier aufgewachsen. Wir sind Tunesier“, sagt Chaddad.

2015 beschließt der Künstler, sich in Tunis niederzulassen. Keine leichte Entscheidung, denn die Kunstszene ist ausgesprochen klein. „Die Leute interessieren sich nicht wirklich für zeitgenössische Kunst. Viele Künstler sind noch in der dekorativen Phase, wie in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie wollen gefallen, nicht kritisieren“, beklagt er. Dabei lasse sich Kunst nicht losgelöst von ihrem Entstehungskontext betrachten. „Sie ist privat, also ist sie politisch“, sagt Chaddad.

Omnipräsent in Chaddads Werken sind Strecken, Karten, der Transit von einem zeitlichen oder geografischen Ort zum anderen. Sei es in dem von einem Unfall verbeulten Sammeltaxi, das die Route Djerba-Tunis gefahren ist, der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart des jüdischen Tunesiens, den Widersprüchen zwischen der konservativen Gemeinde in Djerba und den liberalen Juden der Hauptstadt, oder im Titel mit seiner Referenz an die sieben guten und die sieben schlechten Jahre der monotheistischen Religionen.

Dieser spiegele die Widersprüche der Gesellschaft wider, erläutert Chaddad. „Die Leute lieben Tunesien und wollen es so schnell wie möglich verlassen. Sie wollen selbst migrieren, aber hassen Migranten.“ Im Ausland seien sie auf einmal stolz, Tunesier zu ein. „Alles ist bipolar: das Verhältnis zur Religion, zum Alkohol, zum Fastenmonat Ramadan.“ Ob die guten sieben Jahre in der Vergangenheit oder in der Zukunft lägen, wolle er den Betrachtenden überlassen. Er wolle sie nur ermutigen, Dinge infrage zu stellen. Auch die Nostalgie, wenn es um das vermeintlich gute Zusammenleben von Juden und Nichtjuden in Tunesien gehe. Denn mit einem Verweis auf „die guten alten Zeiten“ würden Unterdrückung, Übergriffe und Antisemitismus zu oft weggewischt, statt sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.