Artikel teilen

Wenn Weichen neu gestellt werden

Wie findet man eine neue Heimat? Darüber schreibt Matti Schindehütte. Er ist Pastor in Großhansdorf-Schmalenbeck bei Hamburg.

Holger Schué / Pixabay

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ aus 1. Mose 4,1-16a

Raum geben. An diesem Sonntag feiert unsere Gemeinde ihr Kirchturmfest. Erbaut wurde die Auferstehungskirche, nachdem die Einwohnerzahl in Großhansdorf durch den Zuzug vieler Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg stark angestiegen war. Die Biografien dieser Menschen berühren mich: Lebensgeschichten voller Aufbruch. Geschichten von Familien, die durch den Krieg zerrissen wurden. Sie handeln vom Finden neuer Heimat, von Zusammenhalt und der Bereitschaft, füreinander Verantwortung zu übernehmen.

Was die Menschen getragen hat? Gespräche zeugen von einer starken Bindung an das Leben. Wichtig war ihnen bei der Frage nach Gott nicht das „Warum?“, sondern das „Wohin?“ – die Bereitschaft, sich dem Kreuz der Wirklichkeit zu stellen.

“Wo kann ich helfen?”

Familienmitglieder und Bekannte wurden zu Knotenpunkten und Weichenstellern, neue Wege in die Zukunft zu wagen und als Gemeinschaft wieder neu zusammenzufinden. Der Predigttext ruft uns in diese Verantwortung hinein: „Soll ich meines Bruder Hüter sein?“. Die Geschichte gibt uns das Zeichen, dass unser Leben nicht bei Scheitern oder Schuld enden muss. Und das Evangelium weitet den Horizont mit der Frage: „Wer ist denn mein Nächster?“ Zwei Geschichten, die unser Menschsein ernst nehmen. Das Doppelgebot der Liebe appelliert an unsere Stärken: „Wo kann ich helfen?“ Und weiß um unsere Schwächen: „Wo liegen meine Grenzen? Wer wird mir selbst zum Nächsten?“ In diesem Beziehungsgeschehen kann Gottes Barmherzigkeit ihren nötigen Handlungsspielraum finden. Da, wo wir um die Lebensgeschichte der anderen wissen, kann sich ein Miteinander einstellen. Da können auch wir uns mitteilen.

In der Bibel kommt die Hilfe von einem Fremden. Das finde ich bemerkenswert. Der Samariter hat eine andere Religion und eine andere Nationalität. Doch er ist der einzige, der in der Not Verantwortung übernimmt. Das macht mir Mut, an das Gelingen einer pluralen Gesellschaft zu glauben. In gemeinsamer Verantwortung, der Hoffnung in unseren Lebensgeschichten immer neuen Raum zu geben.

Unser Autor
Dr. Matti Schindehütte ist Pastor in Großhansdorf-Schmalenbeck bei Hamburg.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.