Artikel teilen:

Wenn Träume weiterhelfen

Über den Predigttext zum Sonntag Sexagesimä: Apostelgeschichte 16, 9-15

Predigttext

9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! 10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. 11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. 13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. 14 Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

Haben Sie sich schon mal gefragt, wie viele Entscheidungen ein Mensch pro Tag im Schnitt trifft?
Laut Verhaltensforschern sind es von der, mit welchem Bein wir morgens aufstehen, bis zu der, wann wir ins Bett gehen, circa 20 000! Die meisten davon sind uns kaum bewusst, manche bereiten uns Kopfzerbrechen. Vor allem die, bei denen wir ahnen, dass sie unseren weiteren Lebensweg maßgeblich beeinflussen werden.
Ich sammle dann meistens erst mal Argumente, lege eine umfangreiche Pro- und Con­traliste an, unterhalte mich mit Freunden und Familie. Nach einem inneren Ping-Pong-Match der Möglichkeiten entscheide ich mich schließlich für die Variante, die mir am sinnvollsten erscheint.

Ganz anders macht es Paulus im Predigttext. Er ist als Reisemissionar unterwegs, beseelt davon, möglichst vielen Menschen von der Frohen Botschaft zu erzählen, die sein Leben völlig umgekrempelt hat. Bisher hat er sich vor allem in Palästina, Syrien und in den Städten des südöstlichen Kleinasiens bewegt. Jetzt nimmt er für seine Unternehmung auch Makedonien und Griechenland in den Blick. Seine dritte Missionsreise markiert den Übergang des Evangeliums auf den europäischen Kontinent.

Ob Paulus vielleicht schon länger darüber nachgedacht hatte, seinen Wirkungskreis auf Europa auszudehnen? Ob er vielleicht auch schon eine Pro- und Contraliste angelegt hatte mit allen möglichen Argumenten dafür und dagegen? Zum Entschluss führt ihn schließlich ein Traumbild, das Gott ihm schickt.

Ich glaube, das kommt nicht von ungefähr, denn der Traum ist seit jeher ein Symbol für die Kommunikation mit Gott. Wenn wir träumen, spannt sich ein Raum auf, der viel größer ist als das, was wir mit unserem täglichen Tunnelblick erfassen können. Beim Träumen sortieren wir nicht nur die innere Festplatte, indem wir das, was wir erlebt haben, verarbeiten. Manchmal kommt auch Unbewusstes hoch, das wir tagsüber verdrängen, und wir spüren, welche Probleme, Ängste oder Wünsche uns stark beschäftigen. In dieser Sphäre, in der unser Gewesenes, Aktuelles und Zukünftiges aufeinandertrifft und sich zuweilen neu verknüpft, können wir spannende Impulse für unseren Lebensweg erhalten – ein heiliges Geschehen.

Ich denke an Jakob, der, als er aus seiner Heimat fliehen muss, von einer Himmelsleiter träumt und Gott ihm seinen Beistand und eine große Nachkommenschaft verheißt. Ich denke an Josef, dem Gott durch die Fähigkeit, Träume zu deuten, half, seinen Weg aus der Gefangenschaft zu finden.
Auch Paulus erhält im Traum einen Hinweis darauf, wie es für ihn weitergeht. Er sieht einen Makedonier, der am Ufer des Meeres steht, ihm zuwinkt und ihn um Hilfe bittet. Er zögert keinen Moment und sucht sofort nach Möglichkeiten überzusetzen. Mit traumwandlerischer Sicherheit folgt er seiner Vision und die ist goldrichtig:
Als er in Makedonien ankommt, trifft er schnell auf Lydia, eine wohlhabende und einflussreiche Frau, der genau in diesem Moment das Herz aufgeht, so dass die heilsame Nachricht von Gottes Liebe nicht nur in ihrem Haus, sondern in ganz Europa ankommen kann.

Paulus hat erkannt, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sein Verstand sich ausmalen kann. Und er folgt dem Hinweis, den er im Reich des Unbewussten, im Traum bekommt. Er vertraut nicht nur auf sich selbst, sondern lässt sich von Gott in die Zukunft führen. Davon möchte ich mir gerne eine Scheibe abschneiden. Oder zwei.