Jetzt auch Zverev: Immer mehr Sportstars sprechen über psychische Probleme. Wie dem 28-Jährigen geht es vielen. Junge Menschen sind hierzulande besonders belastet – Fachleute geben Tipps zur gezielten Unterstützung.
So deutliche Worte hört man im Leistungssport noch immer selten: Er fühle sich “ziemlich alleine” in seinem Leben, sagte Tennisstar Alexander Zverev am Dienstag, nachdem er in Wimbledon in der ersten Runde ausgeschieden war. Und weiter: “Es ist schwierig für mich, außerhalb des Tennisplatzes Freude zu finden.”
Zverev ist nicht der erste Spitzensportler, der in jungen Jahren psychisch massiv belastet ist – und offen darüber spricht. Turnerin Simone Biles ist 28 und hat ADHS, Tennisspielerin Andrea Petkovic (37) vermutet bei sich eine Depression. Michael Phelps, der zu den erfolgreichsten Schwimmern aller Zeiten zählt, sprach nach seinem Karriereende über Suizidgedanken bei Olympia 2012 – damals war er 27 Jahre alt.
Im Leistungssport ist der Druck besonders hoch; offene Worte über vermeintliche Schwächen, über das “Nicht-Funktionieren” fallen dort wohl besonders schwer. Die Weltstars sind indes keine Einzelfälle: 40 Prozent der jungen Menschen hierzulande fühlen sich psychisch eher schlecht als gut. Das zeigen Daten, die das Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwoch in Berlin veröffentlichte. Insgesamt ist fast jeder Dritte betroffen; der Anteil unter den 18- bis 29-Jährigen ist jedoch besonders hoch.
Als Robert Enke sich mit 32 Jahren selbst das Leben nahm, waren psychische Probleme im Sport noch kein Thema, schon gar kein öffentliches. Der Fußballtorwart starb 2009, nachdem er jahrelang mit Depressionen gekämpft hatte. Die Stiftung, die seine Frau Teresa in der Folge gründete, tourt durch Schulen, Unternehmen und Nachwuchs-Leistungszentren. Eine moderne “Virtual Reality”-Erfahrung soll für das Krankheitsbild sensibilisieren, Verständnis fördern. “Schulischer Druck, Selbstfindung, soziale Medien: All das kann belastend sein”, sagt Teresa Enke.
Auch Radrennfahrer Jan Ullrich litt an Depressionen – und kritisiert eine allzu drastische Leistungskultur. So habe er von klein auf antrainiert bekommen: “Kämpfen, niemals aufgeben”, sagt Ullrich in einem NDR-Podcast.
Überhöhte Ansprüche verinnerlichen nicht nur Sportler. Sinnvoll ist laut Fachleuten, eben nicht zu lange “durchhalten” zu wollen – da die meisten Depressionen eher “leise” begännen. Ratsam seien bei ersten Alarmzeichen etwa Aktivitäten, die normalerweise positive Gefühle auslösten, sagte der Psychologe David Daniel Ebert vor kurzem der “Welt”. “Krankheitsbedingt fühlt sich das erst nicht gut an, aber wenn man trotzdem am Ball bleibt, reagiert das Gefühlsleben irgendwann wieder auf die Glücksreize.” Zudem seien Methoden wie Achtsamkeitstraining, Meditation oder Yoga hilfreich.
Bei jungen Menschen dürften Wut, Trauer oder Frust durchaus vorübergehend auftreten, sagt die Familientherapeutin Melanie Hubermann im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute”. Ein Anzeichen für eine depressive Verstimmung sei es, wenn mindestens zwei Symptome über mindestens zwei Wochen anhielten: etwa gedrückte Stimmung, Verlust von Interesse, verminderter Antrieb oder schnelle Ermüdung. Noch eindeutiger sei ein schlechtes Selbstbild, “also sich wertlos zu fühlen, keine Zukunftsperspektive zu haben”, schwere Entscheidungsfindung oder auch ein massiv verändertes Ess- und Schlafverhalten.
Als erste Ansprechpartner bei entsprechender Sorge böten sich Kinderarzt oder Hausärztin an, erklärt Hubermann. Bei Psychotherapien müsse auch im Kinder- und Jugendbereich mit langen Wartezeiten gerechnet werden. Eine Alternative könnten Gruppenangebote sein, in denen Betroffene mit professioneller Begleitung ihre Erfahrungen austauschten.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe betont, dass Depression ganze Familien betreffe. 24 Prozent aller Menschen in Deutschland sind laut neuesten Zahlen selbst erkrankt, 26 Prozent als Angehörige mitbetroffen. “Morgens aufstehen, den Geschirrspüler ausräumen oder einen Arzttermin vereinbaren – all diese Tätigkeiten können in der Depression die größte Herausforderung sein”, sagt der Stiftungsvorsitzende Ulrich Hegerl. Es sei wichtig zu wissen, dass sie sich eben nicht gehen ließen, sondern dass ihnen krankheitsbedingt Antrieb und Hoffnung fehlten.
Unterstützung empfiehlt Hubermann, Autorin des Buchs “Teenage Blues”, auch Eltern von erkrankten Kindern oder Jugendlichen: Sie erlebten in Gruppen oftmals, “dass sie mit ihren Problem nicht allein sind”. Wenn es erst ein “Helfernetz” gebe, sei es zudem sinnvoll, die Schule zu informieren: “Eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern ist für die betroffenen Jugendlichen entlastend und ermöglicht weitere Interventionen”.