Den einen fehlt die Stunde Schlaf, die anderen genießen die langen Sommerabende: Vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg, drehte Deutschland als erstes Land der Welt an der Zeit – und stellte die Uhren eine Stunde vor.
„Der 1. Mai 1916 beginnt am 30. April 1916 nachmittags 11 Uhr nach der gegenwärtigen Zeitrechnung. Der 30. September 1916 endet eine Stunde nach Mitternacht im Sinne dieser Verordnung.“ So steht es im „Deutschen Reichsgesetzblatt“ vom 6. April 1916. Grund dafür: Die deutsche Regierung, die sich mitten im Ersten Weltkrieg befand, wollte Energie sparen – oder vielmehr das „kriegswichtige“ Material dazu, wie Kohlen und Petroleum. Vor 100 Jahren drehte Deutschland als erstes Land der Welt an der Zeit – und stellte die Uhren eine Stunde vor.
Was auch heute am Umstellungstag immer wieder für Verwirrung und wiederkehrende Diskussionen sorgt („Eine Stunde vor oder eine Stunde zurück?“), war für die Menschen Anfang des Jahrhunderts vor allem ein historisches Ereignis. Ein eindrückliches Zeitzeugnis findet sich in einem nach dem Zweiten Weltkrieg lange verbotenen Band der deutsch-jüdischen Kinderbuchautorin Else Ury (1877-1943), den sie 1922 veröffentlichte und der 2014 in einer kommentierten Auflage erstmals wieder erschien.
Schon bei „Nesthäkchen“ wird davon erzählt
Ein ganzes Kapitel hat sie in dem patriotischen Kinderroman „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ der Einführung der Sommerzeit gewidmet und erzählt, wie dieses Ereignis die Berliner Arztfamilie rund um das Nesthäkchen Annemarie Braun durcheinanderbrachte: „Großmama fand sich nicht mehr in der Welt zurecht. Sie hatte sich in vieles fügen gelernt, was sie ihr ganzes Leben lang anders gewohnt war. Aber dass der Krieg nun auch die Zeit noch verändern sollte, das wollte ihr nicht in ihren alten Kopf. ‚Ich bin altmodisch, ich lebe ruhig weiter, wie ich nun schon fast siebzig Jahre gelebt habe‘“, äußerte sie sich. ‚Ich ooch, jnädije Frau, ich mach den Rummel nich mit‘, pflichtete Hanne ihr bei. ‚Wenn es sechsen is, denn is nich sieben, nee, ich bin doch nich janz und jar varrickt!‘“
Die Berliner Köchin Hanne macht ihrem Herzen hier im ehrlich-rauhen Ton Luft – und befindet sich damit bis heute in guter Gesellschaft. Denn wie sinnvoll die Maßnahme ist, die nach der Einführung im Laufe der Jahre immer wieder abgeschafft wurde – um dann wieder eingeführt zu werden – , bleibt umstritten: Laut Bundesumweltamt etwa spart man während der Sommerzeit zwar abends elektrisches Licht, jedoch wird dann morgens mehr geheizt, besonders in den kalten Monaten März, April und Oktober.