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Wenn die Kirche in die Klinik kommt

Christian Schoberth arbeitet seit 20 Jahren in der Krankenhausseelsorge. Oft muss er sich fragen lassen, warum Gott das Leid zulässt. Doch der 55-Jährige erlebt auch schöne Momente.

Christian Schoberth auf den Fluren des Unfallkrankenhauses Boberg
Christian Schoberth auf den Fluren des Unfallkrankenhauses BobergFriederike Lübke

Hamburg. Das Unfallkrankenhaus Boberg wirkt familiär. Auf den Fluren grüßen die Ärzte. Es ist ruhig bis auf das Quietschen von Gummireifen auf dem polierten Boden, als sich einige Rollstuhlfahrer zum Aufzug schieben. Christian Schoberths Büro liegt im dritten Stock. Schoberth, 55, arbeitet hier als Krankenhausseelsorger. Aus dem Fenster blickt man über das Flachdach der Klinik in den grauen Himmel. Auf dem Boden steht schon eine Umzugskiste, in anderthalb Monaten wird er seinen Arbeitsplatz an das Universitätsklinikum Eppendorf verlegen.
„Seelsorge wäre was für dich“, hatte ein Studentenseelsorger während seines Theologiestudiums in Leipzig zu ihm gesagt. Schoberth behielt diese Worte und absolvierte eine sechswöchige Seelsorgeausbildung, während er als Dorfpfarrer in Mecklenburg arbeitete. Seine erste Seelsorge-Stelle trat er 1997 in einem Krankenhaus in Neubrandenburg an, später wechselte er in die Psychiatrie Ochsenzoll in Hamburg und dann an das Unfallkrankenhaus Boberg.

Gott ist auch im Leid anwesend

„Mein Herz schlägt für die Kirche an einem anderen Ort“, sagt Christian Schoberth. Er versteht Menschen, die Fragen haben und die kirchliche Sprache nicht sprechen. Es macht ihm Spaß, Glauben in einfachen Worten zu vermitteln.
Selten wird der 55-Jährige direkt gerufen. Manchmal bekommt er einen Hinweis von Ärzten und Pflegern, meist aber geht er auf eigene Initiative los, klopft an Zimmertüren oder setzt sich in Sitzecken einfach dazu. Die besten Gespräche kann er am frühen Abend führen, wenn keine Behandlungen mehr stattfinden und die Menschen nachdenklich werden oder sich nach ihrem Zuhause sehnen. Oft fragen die Patienten: Warum lässt Gott das zu? Schoberth schweigt dann erst einmal, bevor er versucht zu sehen, was sich hinter dieser Frage verbirgt. Gott, so seine Überzeugung, ist auch im Leid anwesend.

Ein emotionales Auf und Ab

Nach fast 20 Jahren in der Seelsorge sieht Schoberth, wie die familiäre Zerrissenheit immer stärker zunimmt. Wie geschiedene Elternpaare an den Betten ihrer verunglückten Kinder stehen oder alleinstehende Männer vereinsamen. Er spürt aber auch eine leise, tiefe Sehnsucht nach Gott. Schoberth ist sich nicht sicher, ob er sie durch seine Erfahrung nur stärker wahrnimmt oder ob sie zugenommen hat. Aber mittlerweile ist er überzeugt, dass diese Sehnsucht in jedem Menschen angelegt ist. Wenn er mit den Patienten gesprochen hat, merkt er, dass viele ruhiger atmen. Er sieht, wie sich ihr Puls auf den Monitoren beruhigt.
Die Arbeit als Seelsorger ist für ihn ein emotionales Auf und Ab. An einem Tag wird er überschwänglich gelobt und drückt die Hände der dankbaren Angehörigen. Am nächsten wendet sich ein Patient ab oder schleudert ihm schon an der Tür verletzende Worte entgegen. Denn auch das passiert: Als Vertreter der Kirche bekommt er die Wut ab, die manche empfinden. Gerade die Ablehnung hat jedoch auch schon zu guten Gesprächen geführt, weil er sich nicht abschrecken ließ, am nächsten Tag wiederkam und sich einen Stuhl ans Bett zog.

Ängste unterm Klinikdach

Rund 500 Plätze für Patienten hat das Unfallkrankenhaus Boberg. Das ergibt viele Ängste und Sorgen unter dem Klinikdach, für die Schoberth und seine Kollegin Christina Urban da sein sollen. Die Stationen haben sie sich aufgeteilt. „Ich kann nur punktuell etwas tun, aber ich glaube, dass es ausstrahlt“, sagt er.
Einmal saß er am Bett eines jungen Paares. Mit dem Freund der Patientin redete er über Gott, an den beide glauben, und sprach den Segen über sie. Im Nachbarbett lag ein Mann, völlig weggetreten von den Schmerzmitteln. Aber als es ihm besser ging, erkannte er Christian Schoberth wieder und erinnerte sich sogar, dass er in seinem Zimmer gewesen und über Gott gesprochen hatte. Nur das war in sein vernebeltes Bewusstsein getreten.