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Weniger Freiheit für Israels Presse

Über Jahrzehnte hatte Israel eine freie und kritische Medienlandschaft. Mit Benjamin Netanjahu an der Macht hat sich das geändert. Experten sehen ähnliche Strategien wie in Ungarn oder Indien.

Eine lebendige Medienlandschaft: In Israel war das lange selbstverständlich. Doch diese gefährdet, warnen Fachleute. Die Regierung versuche gezielt, die Pressefreiheit einzuschränken, sagen Ayala Panievsky, israelische Medienwissenschaftlerin an der Universität Cambridge, sowie Anat Saragusti. Sie leitet die Abteilung für Pressefreiheit der israelischen Journalistengewerkschaft.

Dafür spricht die Rangliste der Pressefreiheit der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG). Israel erzielte 2024 das zweitschlechteste Ergebnis seit Einführung des Rankings: 101 von 180. Auf Platz 93 war das Land bereits 2009 mit der Rückkehr von Benjamin Netanjahu (Likud) als Ministerpräsident abgestürzt, nach sechs Jahren in den obersten 50 Rängen.

Seit dem Krieg in Gaza, mit dem Israel auf den Terrorangriff der Hamas des 7. Oktober 2023 reagierte, sei der Druck auf Journalisten gestiegen. Kritische, von der politischen Mehrheitsmeinung abweichende Stimmen seien sehr viel seltener zu hören, sagt ROG und macht Israels Regierung mitverantwortlich.

Netanjahu und seine Regierung betrieben eine “konzertierte Kampagne”, um die Kontrolle über die Berichterstattung zu erhalten und kritische Journalisten einzuschüchtern, sagt Gewerkschafterin Anat Saragusti im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Tel Aviv. Ziel dieses “gut organisierten Masterplans”, der Züge der Politik populistischer Führer in Polen, Ungarn oder Indien trage, sei der eigene Machterhalt. Eine feindliche Übernahme des Medienmarktes, Gesetzgebung und Hetze gegen Journalisten bedrohten die Pressefreiheit.

Es gebe “definitiv eine Strategie, nach der in vielen Ländern vorgegangen wird, auch in Israel”, erklärt auch Medienwissenschaftlerin Ayala Panievsky im Zoom-Gespräch mit der KNA. Dabei habe sich in den 1980er Jahren in Israel eine liberale, unabhängige und kritische Presse entwickelt; trotz vieler Kriege und einer Zensur bei Sicherheitsbelangen.

“In den 1990er Jahren betrat dann ein neuer Politiker die Bühne und hat die israelische Politik amerikanisiert: Benjamin ‘Bibi’ Netanjahu. Er ist besessen von Medien und hat schnell verschiedene Schritte zur Eingrenzung der Pressefreiheit ergriffen”, so Panievsky. Halfen Medien ihm einst beim Aufstieg, wurden sie bald zum bevorzugten Gegner.

Unter der jetzigen Regierung reichen die Anfeindungen laut Saragusti bis zu physischen Angriffen; mit einer “stark abschreckenden Wirkung” für Journalisten. Wie stark diese ist, zeigt eine Studie Panievskys. Die meisten befragten Journalisten sähen ihre Berichterstattung als objektiv. Dabei legten viele aber “eine ‘strategische Voreingenommenheit’ bei ihrer Berichterstattung an den Tag”, in dem sie die Vorwürfe einer linken Voreingenommenheit durch eine Orientierung nach rechts zu entkräften suchten. “Wir sind nicht so, wie Bibi uns darstellt”, sei die Botschaft.

Das populistische Medienbashing trifft die Branche, so Saragusti und Panievsky, in empfindlichen Zeiten. Soziale Medien machten angestammten Medien bei Werbeeinnahmen Konkurrenz und böten populistischen Angreifern eine leichte Plattform.

Auch die 2007 auf den Markt gekommene erste kostenlose Tageszeitung “Israel HaYom” sei ein Einschnitt gewesen, meint Panievsky. Bis zu dessen Tod 2021 war sie im Besitz des amerikanischen Geschäftsmannes Sheldon Adelson, einem Freund Netanjahus. Ihre redaktionelle Linie einer persönlichen Loyalität habe zu einer Veränderung des Diskurses beigetragen.

Gute Presse für Netanjahu gegen geschäftliche Vorteile: So lautet einer der zentralen Vorwürfe im Verfahren gegen den Regierungschef. Um seine mutmaßliche Einflussnahme auf Medien geht es auch in zwei der drei Fälle seines seit Mai 2020 andauernden Korruptionsprozesses.

Beim Thema Pressefreiheit gehe es als nächstes um den öffentlichen Rundfunk, glaubt Anat Saragusti. Für den gebe es “keinen Platz” in Israel, hatte Kommunikationsministers Schlomo Karhi (Likud) erklärt. Er begründete seine Reform des Kommunikationsmarktes mit mehr Wettbewerb und größerer Freiheit. Zu den Vorwürfen gezielter Angriffe auf die Pressefreiheit wollte er auf Anfrage der KNA aber keine Stellung nehmen.

Sein Büro verwies an das Regierungspressebüro (GPO), das die Anschuldigung als unbegründet zurückwies. “Wir sind stolz auf die im Staat Israel weit verbreitete Pressefreiheit, unabhängig von der Agenda der Medien oder den komplizierten regionalen Umständen”, sagte GPO-Chef Nitzan Chen der KNA. Jede Regierungsentscheidung habe “ein starkes und unabhängiges Rechtssystem” durchlaufen, über das Israel als demokratischer Staat verfüge, so Chen weiter. Diese Demokratie habe “das Recht, sich zu verteidigen, in Zeiten des Friedens, aber auch in Zeiten des Krieges”.

Gewerkschafterin Anat Saragusti sorgt sich indes um diese Demokratie. Sie verliere rapide ihren Anspruch auf diesen Status und nehme stattdessen mehr und mehr “die Merkmale eines autoritären Regimes, wenn nicht gar einer Diktatur” an.