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Weißt du, wo der Himmel ist?

40 Tage verbrachte Jesus nach seiner Auferstehung zu Ostern mit seinen Jüngern, bevor er in den Himmel aufstieg. 40 Tage nach Ostern feiern Christen deshalb Christi Himmelfahrt. Doch was ist das eigentlich, der Himmel? Ein Bild für das Unbeschreibliche.

Von Kindern, das weiß man, lassen sich Mut und Unbefangenheit lernen, um die wirklich wichtigen Fragen zu stellen. „Wo fängt der Himmel an?“, fragen Kinder gern. Sie trauen sich, Probleme zu formulieren, die Erwachsene gerne verdrängen. Wer kann schon sicher sagen, wie der Himmel aussieht und wie man dort hinkommt? Wie groß ist er und wer wohnt dort? Ist er wirklich dort oben über den Wolken?

Wenn man mit dem Flugzeug die Wolkendecke durchstoßen hat, sieht man nur noch einen endlos weiten Raum: Keine Wolken mehr. Keine großen Vögel. Schon gar keine Engel. Kann das der Himmel sein? Reinhard Mey hat in seinem berühmten Lied die Sehnsucht beschrieben, die aufkommen kann, wenn man am Boden bleibt und einem startenden Flugzeug hinterherblickt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen.“

Der Himmel als „die Fülle des Lebens“

Der Himmel, der physikalische Raum zwischen Erde und All, hat immer schon als Bild gedient für das Unbeschreibliche, für all das, was wir hinter unseren eigenen Grenzen und Beschränkungen erhoffen.
Aber gibt es den Himmel, „die Fülle des Lebens“ überhaupt, von der in alten liturgischen Texten die Rede ist? Ist er mehr als ein frommes Märchen – zu schön, um wahr zu sein? Aber kann man ohne den Himmel überhaupt leben? Muss es nicht das wahre Glück geben – auch später einmal, ein Zuhause, in dem wir immer bleiben dürfen? Oder ist das nur eine große Illusion?

Solange die Welt sich dreht, werden Geschichten vom Himmel erzählt. Hoffnungsgeschichten, die sagen, dass es weitergeht.
Vor fast siebzig Jahren lebte in Warschau die kleine Janina David in einem engen dunklen Zimmer, das sie niemals verlassen durfte. Die Familie David musste sich vor den Nazis verstecken. In dem Buch, das sie später über ihre Erlebnisse schrieb, erinnert sich Janina an ein winziges Fenster, durch das sie ein Stück vom blauen Himmel sehen konnte. Dieser Blick auf den Himmel war es, was ihr Mut gab und sie die lange böse Zeit am Leben hielt. Der Himmel bedeutete für sie Freiheit, Hoffnung, Zukunft.

Viele Bezeichnungen für das Jenseits oder das Paradies

Der Himmel ist ein Bild für so vieles, was uns glücklich macht. Und weil aus der anderen Welt noch keiner zurückgekommen ist, gibt es unter den Menschen keine einheitliche Vorstellung. Sie sagen „Himmel“ oder „Paradies“, „Jenseits“ oder „die ewigen Jagdgründe“ und meinen doch alle etwas ähnliches.
Früher hat man den Himmel gern als Wohnung der Götter oder der großen Helden beschrieben. Inzwischen ist er für viele „nicht mehr Zeichen für die Frage, wohin wir gehören, sondern Chiffre für eine heruntergekommene Romantik, die uns nichts mehr kostet“, meint der niederländische Theologe Hermann Häring skeptisch. Oft stellt man sich den Himmel als eine schrecklich langweilige Sonderwelt vor. Keine lebendigen Menschen, die lachen, komische Dinge treiben, sich verlieben. Stattdessen luftige Geister, die vornehm umherschweben und auf weichen Wolkenpolstern rasten. Ludwig Thoma greift diese freudlose Vorstellung mit grimmigem Sarkasmus auf und lässt seinen „Münchner im Himmel“ verdrossen auf die Erde und auf die gute Zeit im Hofbräuhaus blicken.

Die heiligen Schriften der Juden und Christen reden nicht von so einem blutleeren, faden Paradies. Die Bibel schildert den Himmel gern als großes Fest, vorzugsweise als Hochzeitsfeier. Da wird ausgelassen gefeiert, fröhlich gegessen und getrunken. In der bekannten Geschichte von der Hochzeit zu Kana geht dem Hausherrn der Wein aus, Jesus muss für Nachschub sorgen. Der Himmel ein gewaltiges, prunkvolles Fest, bei dem sich alle rundum freuen.
Die Bibel erzählt von diesem Fest nicht so, als müssten wir bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten, bis es losgeht. Die Feier hat schon längst begonnen! Jesus verknüpft das unverrückbar mit seiner Person: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Sein Himmel beginnt überall dort, wo Menschen wie er ganz Menschen sind, sich aneinander freuen, richtige Freunde werden, miteinander teilen und sich als Partner fühlen, nicht als Rivalen.

Schon der in der hebräischen Bibel dokumentierte Glaube Israels bricht die enge Vorstellung eines über den Wolken lokalisierbaren Himmels auf: Der Himmel ist kein Ort auf der Landkarte des Universums, sondern eine Beziehung. Der Himmel ist die Erfahrung der glücklich machenden – aber auch herausfordernden! – Nähe Gottes. Viel später entsteht die treffsichere Geschichte von dem Rabbi, der einem Kind einen Taler verspricht, wenn es ihm sagen kann, wo Gott wohnt. Der Dreikäsehoch antwortet: „Und du bekommst einen Taler, wenn du mir sagst, wo er nicht wohnt!“

Himmlische Zustände: kein Hass, nur Liebe

Ist der Himmel ein Paradiesgarten für die Frommen, eine Ruhmeshalle für die toten Helden, ein Forschungsobjekt für Astrophysiker oder ein Tummelplatz für Raumfahrer? Oder ist er eine Art zu leben, miteinander umzugehen? Ein musikalischer Ohrwurm aus zeitgenössischen Jugendgottesdiensten, von Wolfgang Poeplau getextet und von Ludger Edelkötter vertont, schildert es so:
„Wenn ein Sommer Rosen blühen lässt und die Liebe Menschen glühen lässt, wenn es Frieden gibt auf Erden und die Waffen verschrottet werden: Dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle, alle gehen mit.

Schon auf Erden gibt es kleine Stückchen Himmel

Wenn die Wüsten Gärten tragen und die Toten zu tanzen wagen, wenn der Himmel uns auf den Kopf fällt und ein Mensch mehr als alles Geld zählt: Dann gehen wir dem Himmel entgegen und alle, alle gehen mit.“
Das Fest des Himmels hat begonnen. Zwar hat es noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, aber wir sind zum Tanz aufgerufen: uns zum Reigen des Lebens einander bei den Armen und Händen zu fassen.

Aber wie geht das? Vielleicht gibt ein kleines Gebet Aufschluss, das in einem Gesangbuch zu finden war, in zierlicher Handschrift auf einen Zettel geschrieben: „Herr, gib mir ein Herz, das die Freude sucht und sie doch nicht festhalten will, das verzichten und teilen kann und das sein Glück in der Freude der anderen findet.“
Wenn wir so zu leben versuchen, leuchten schon jetzt viele kleine Stückchen Himmel wie Mosaiksteine auf, oft noch unverbunden nebeneinander liegend wie bei einem unfertigen Puzzle. Die Bibel ist überzeugt: Gott wird am Ende der Tage diese vielen Mosaiksteinchen Himmel zu einem vollendeten Bild zusammenfügen und zu „seiner neuen Erde und seinem neuen Himmel machen“, wie es am Schluss der Heiligen Schrift heißt. Vielleicht lohnt es sich ja, bei dem Fest schon jetzt dabei zu sein.