Der Hamburger Landesvorsitzende des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB), Marcus Weinberg, sieht in Einsamkeit „eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft“. Sie drohe insgesamt weiter zuzunehmen, mache Betroffene krank und könne dazu führen, dass sich Menschen aus dem demokratischen Diskurs zurückziehen, sagt Weinberg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wichtig sei, dass jeder Einzelne etwas gegen Einsamkeit tue – auch und gerade jetzt zu Weihnachten. Der ASB Hamburg bietet in diesem Jahr für einsame und bedürftige Seniorinnen und Senioren erstmalig den „Hamburger Weihnachtszauber“ an – zusammen mit der Hildegard und Horst Röder-Stiftung. 250 bereits angemeldete Seniorinnen und Senioren sollen am 21. Dezember einen festlichen Nachmittag mit Drei-Gänge-Menü und geselligem Rahmenprogramm verbringen.
epd: Wer in Hamburg ist von Einsamkeit an Weihnachten besonders betroffen?
Marcus Weinberg: Insbesondere die Gruppe der über 80-Jährigen ist betroffen. Hier spiegelt sich die Abnahme der familiären und sozialen Beziehungen wider. Einsamkeit trifft aber auch jüngere Altersgruppen, so die 35- bis 45-Jährigen, die häufig beruflich sehr mobil sind und deshalb kaum soziale Beziehungen aufbauen können.
epd: Wie hat sich Einsamkeit in Hamburg verändert?
Weinberg: Die sozialen und familiären Beziehungen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Traditionelle Familienmuster sind ebenso in Teilen verloren gegangen wie die Sozialisation am „festen“ Arbeitsplatz. Gerade bei der Arbeit ist festzustellen, dass Gemeinschaften nicht mehr so existieren wie noch vor 50 Jahren.
epd: Ist Einsamkeit auch auf dem Land ein Thema, wo soziale und familiäre Beziehungen noch eine größere Rolle spielen?
Weinberg: Es tritt zunehmend auch in ländlichen Regionen mehr Einsamkeit auf, insbesondere dann, wenn es keine sozialen Treffpunkte wie Einkaufsladen, Apotheke oder Arztpraxis mehr gibt.
epd: Welche Folgen kann Einsamkeit haben?
Weinberg: Einsamkeit führt zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Das ist im Hinblick auf psychische Folgeerscheinungen wie Depressionen etc. messbar und wissenschaftlich belegt. Betroffene haben keine soziale Anschlussfähigkeit mehr und leiden seelisch. Hinzu kommt, dass Menschen, die unter Einsamkeit leiden, sich auch aus dem demokratischen Diskurs verabschieden. Sehr viele Hasskommentare und aggressive, teilweise radikalisierende Ablehnungen gegenüber Institutionen, Parteien, Verbänden oder auch gesellschaftlichen Gruppen resultieren aus einer zunehmenden Einsamkeit.
epd: Warum finden viele Menschen nicht allein aus der Einsamkeit heraus?
Weinberg: Weil das Herausfinden aus der Einsamkeit ein aktives Handeln mit sich bringen muss. Leider verlieren Menschen nach einer geraumen Zeit der Einsamkeit die Fähigkeit, sich in einer sozialen Gruppe zu sozialisieren sowie ein erwartetes Maß an Kommunikation zu entwickeln. Hier ist Unterstützung notwendig. Hinzu kommt, dass es an Angeboten für diese Menschen fehlt, die sie proaktiv annehmen können.
epd: Welchen Stellenwert wird Einsamkeit in Hamburg in Zukunft einnehmen?
Weinberg: Wir müssen davon ausgehen, dass der gesellschaftliche und soziale Wandel in noch stärkerem Maße Auswirkungen auf die Lebenssituationen Einzelner hat. Menschen werden immer mehr auf sich allein gestellt sein, weil familiäre und soziale Bindungen deutlich weiter zurückgehen werden. Dem müssen wir – als eine Gesellschaft, die Gemeinschaft und sozialen Kontakt in sich trägt – vorbeugen.
epd: Was tut der ASB gegen Einsamkeit in Hamburg?
Weinberg: Der ASB Hamburg bietet regional eine Vielzahl unterschiedlichster Angebote an. Dazu gehören Angebote unserer ASB-Zeitspendenagentur wie die Pfotenbuddies, die ehrenamtlich ältere oder erkrankte Menschen bei der Versorgung ihrer Haustiere unterstützen, unsere Nachbarschaftstreffs, Seniorencafés, ein großes Kursangebot, unsere offenen Jugendeinrichtungen, Angebote der ASB-Ortsverbände und vieles mehr. Diese werden wir zukünftig besser vernetzen und weiter ausbauen.
epd: Was kann jede/r Einzelne tun, um anderen Menschen aus der Einsamkeit zu verhelfen – allgemein sowie speziell zu Weihnachten?
Weinberg: Es ist wichtig, dass die Bekämpfung der Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches Thema verstanden wird und nicht nur Verbände, Institutionen, Träger oder staatliche Einrichtungen sich dieses Themas annehmen. Jeder Einzelne sollte mit offenen Augen sein Umfeld wahrnehmen und so auf einsame Menschen aufmerksam werden. Dann ist es wichtig, dass jeder von uns darüber nachdenkt, wie man – gerade zu Weihnachten – durch ein nettes Gespräch oder durch einen gemeinsamen Austausch diesen Menschen helfen kann, ihre Einsamkeit zu überwinden.
Es sollte jeder ein wenig auf seinen Nachbarn schauen, ein wenig zuhören, wie es den Menschen geht und aufmerksam sein, wenn Menschen sich immer mehr zurückziehen und weniger in der Öffentlichkeit zu sehen sind.