1934 wurden zwei Waschbärenpaare am hessischen Edersee angesiedelt. Ihre Nachkommen sind inzwischen vielerorts zur Plage geworden – und bedrohen die heimische Tierwelt. Dennoch ist ein friedliches Miteinander möglich.
Sie plündern Obstbäume, durchwühlen Mülltonnen am Haus und nisten sich mit ihrem Nachwuchs auch mal auf dem heimischen Dachboden ein – so possierlich Waschbären auch aussehen, sie können nicht nur materiell großen Schaden anrichten.
Weil ihre Population immer weiter steigt, gefährden sie zunehmend auch heimische Tiere und Ökosysteme. Das Problem: Waschbären sind Allesfresser; neben Obst und Nüssen haben sie es auf einheimische Vögel, Fische, Insekten und Weichtiere abgesehen. Auch Schlangen und Frösche stehen inzwischen vermehrt auf ihrem Speisezettel, beobachtet Sven Klimpel.
Der Frankfurter Parasitologe hat 108 Waschbären aus Naturschutzgebieten in Hessen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg untersucht. Das Ergebnis: Vor allem in Laichgebieten von Amphibien und Reptilien gehen die Tiere gerne auf Nahrungssuche. So habe er mit seinem Team in den Mägen der Waschbären unter anderem Erdkröten, Teichmolche, Grasfrösche, Ringelnattern gefunden worden. Damit hätten diese in bestimmten Gebieten “eine signifikante Auswirkung” auf gefährdete Tierarten und die damit verbundenen Ökosysteme, warnt der Experte.
Aber nicht nur in Biotopen fühlen sich die Bären wohl – zunehmend treiben sie auch in städtischen Gefilden ihr Unwesen. “Dieser Lebensraum ist für Tiere viel angenehmer als bisher vermutet”, erklärt Derk Ehlert, Wildtierexperte der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. “Die Stadt ist eine Art Arche Noah, das nutzen Tiere durchaus.” Durch die schwindenden Rückzugsräume für Wildtiere würden sie auch in dichter besiedelten Gebieten heimisch. Essensreste in Mülltonnen, frei zugängliches Katzenfutter und warme Dachböden, die über Regenrinnen bequem erreichbar sind, machten das Stadtleben attraktiv für Waschbären.
Dabei möchte kaum jemand einen Waschbären gerne in der eigenen Nachbarschaft haben. “Es gibt kaum eine andere Tierart, die so polarisiert und spaltet wie der Waschbär – und das mittlerweile seit 90 Jahren”, erklärt die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin. Damals, im Frühjahr 1934, wurden die ersten zwei Waschbär-Paare am Edersee ausgesetzt – um die heimische Fauna zu bereichern. Zu den aus Hessen stammenden Tieren kamen 1945 in Brandenburg noch rund 25 aus einer Pelztierfarm entflohene Tiere dazu. Seitdem hat sich der aus Nordamerika stammende Kleinbär deutschlandweit immer weiter ausgebreitet.
Wie nun also der Waschbären Herr werden? Das Staatsziel Tierschutz schließe auch jagdbare Wildtiere und invasive Arten mit ein, gibt Martin zu bedenken. Je vielseitiger und strukturierter die Natur und die Lebensräume von Wildtieren generell geschützt seien, umso geringere Auswirkungen habe der Waschbär auf andere Arten, ist sie überzeugt und teilt damit die Einschätzung des Naturschutzbundes.
Kurz nach seiner Ansiedlung stand er noch unter Naturschutz, aber schon 1956 nahm Hessen den Kleinbären als erstes Bundesland in das Jagdrecht auf. Bis 2016 galt er als sogenanntes jagdbares Wild ohne Schonzeit. Töten ist für Martin aber keine “allein selig machende” Maßnahme. Denn die Bejagung sei nicht zielführend: Die verbleibenden Tiere reagierten darauf mit einer erhöhten Fortpflanzungsrate.
Eine Lanze für die Kleinbären bricht derweil der Verein “Hauptsache Waschbär”. Die Tiere hätten keine Lobby, in der ganzen EU würden sie als invasive Tierart stark bejagt, heißt es auf der Homepage. Meist werde keine Schonzeit eingehalten, weshalb Jungtiere ohne Mutter verhungerten. Waschbären würden totgeschlagen und vergiftet, lebendig eingemauert oder von Hunden getötet. “Dabei sind Waschbären äußerst empfindsame, extrem kluge, witzige, unternehmungslustige, lernfähige Tiere, die uns Menschen, obwohl sie Wildtiere sind, größtes Vertrauen entgegen bringen.”
Der Verein betreibt eine Auffangstation für verwaiste Jungtiere und wurde im vergangenen Jahr mit dem Berliner Tierschutzpreis ausgezeichnet. Er fordert einen tierschutzgesetz-konformen Umgang mit der Tierart, etwa durch Kastration.
In Kassel hat man offenbar seinen Frieden mit den pelzigen Mitbewohnern gemacht. Die Stadt, etwa 40 Kilometer vom nordhessischen Edersee entfernt, gilt als “Waschbärenhauptstadt Europas”. Der Landesjagdverband Hessen geht derzeit von 100 Tieren pro 100 Hektar aus. Die Stadt klärt intensiv über Gegenmaßnahmen auf, etwa über Mülltonnen mit Schwerkraftschlössern oder Manschetten für Fallrohre an Häusern.