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Was ist ein guter Mensch?

Der evangelische Gefängnisseelsorger Harald Poelchau half Juden, begleitete Inhaftierte auf ihrem letzten Weg und schmuggelte Briefe ins Gefängnis. Auch solche an Dietrich Bonhoeffer. Berliner JVA-Insassen haben ihm jetzt ein Denkmal gesetzt

picture-alliance / dpa

BERLIN – Er hat Brot und Briefe ins Gefängnis geschmuggelt, rund 1000 Menschen zur Hinrichtung begleitet. Gemeinsam mit seiner Frau Dorothee vermittelte er  Juden illegale Unterkünfte. An den Gefängnisseelsorger und NS-Widerstandskämpfer Harald Poelchau erinnert seit Oktober in und vor der Berliner Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel ein Denkmal. Die „soziale Skulptur“, die von Berlins Justizsenator Dirk Behrendt eingeweiht wurde, haben zehn JVA-Inhaftierte gemeinsam mit der Künstlerin und ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Katrin Hattenhauer erarbeitet.

„Mutige Menschen,
die widersprechen“

„Wenn rechtspopulistische Thesen plötzlich wieder salonfähig werden, dann braucht es mutige und couragierte Menschen, die dem deutlich widersprechen“, betont Behrendt. Poelchau könne hier als Vorbild dienen. Das Denkmal soll ein Anstoß sein, „vorgegebene Denkmuster aufzubrechen und andere Wege zu beschreiten".
Für Berlins Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein ist die Skulptur eine Gedenkkultur „at its best“ (deutsch: von ihrer besten Art; d. Red.). Das Erinnerungskunstwerk sei aus der „Betroffenenperspektive“ entstanden. Die Inhaftierten könnten wohl am besten „nachempfinden, was es bedeutet, nur sehr begrenzt über das eigene Leben verfügen zu können und inhaftiert zu sein", sagt Trautwein. Poelchau, der als Mitglied der Bekennenden Kirche auch Briefe für die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer und Helmut James Graf von Moltke ins Gefängnis schmuggelte, stehe auch für einen menschlichen Strafvollzug.
Der 1903 in Potsdam geborene und in Schlesien aufgewachsene Pfarrerssohn Poelchau war von 1933 bis 1945 und von 1949 bis 1951 evangelischer Gefängnisseelsorger im Strafgefängnis Berlin-Tegel. Er  gehörte als Mitglied des „Kreisauer Kreises“ der Widerstandsbewegung im Dritten Reich an.
Seine Frau  Dorothee (1902-1977) war in seine Arbeit eingebunden. So besorgte sie Lebensmittel und betreute die Verfolgten, die in der eigenen Wohnung aufgenommen wurden. Zudem stellte sie Kontakte her, um Verfolgte zu verstecken. Sie bereitete auch die Speisen zu, die ihr Mann den Häftlingen zukommen ließ. 1972 wurden Harald und Dorothee Poelchau von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als Gerechte unter den Völkern geehrt. Nach dem Krieg, ab 1951, war Poelchau der erste Sozialpfarrer der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Er starb 1972 in Berlin.
Trotz des langjährigen Engagements des Seelsorgers im Gefängnis Tegel gab es bisher dort keinen Hinweis auf sein Wirken. In der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem habe Harald Poelchau einen Gedenkbaum, „aber hier an seiner Arbeitsstätte erinnerte bisher nichts an ihn“, erklärt Künstlerin Hattenhauer, die das Projekt vor einem Jahr mit gemischten Gefühlen gestartet hatte.
Gemeinsam mit den Häftlingen wollte sie eine ästhetische Form finden für persönliche Courage – kein ganz einfaches Vorhaben. Für „die Jungs“, wie Hattenhauer die Häftlinge zwischen Mitte 20 und 60 Jahren nennt, habe es in dieser Zeit viele Momente gegeben, in denen sie sich intensiv mit ihrer Schuld beschäftigen mussten. „Sie haben sich gefragt: Warum bin ich das geworden, was ich geworden bin? Was ist ein guter Mensch? Und: Bin ich überhaupt würdig, hier mitzumachen, und ei-nem Menschen wie Poelchau ein Denkmal zu setzen?“, erzählt Hattenhauer aus der Projektarbeit.
Viele der beteiligten Gefangenen hätten ihr im Zuge der Arbeit auch gesagt, warum sie eigentlich im Gefängnis sind. „Gefragt habe ich sie nicht“, sagt Hattenhauer. „Aber einige hatten offensichtlich das Bedürfnis, sich mitzuteilen.“ Sie seien von Poelchau beeindruckt gewesen, der immer wieder sein eigenes Leben riskierte, um Menschen zu helfen.

Mit der Aktentasche
durch die Mauern

Das Ergebnis des ungewöhnlichen Kunstprojekts: Eine 1,75 Meter große Edelstahlskulptur, die im Innenhof des Gefängnisses aufgestellt ist – „als Mittelpunkt, sodass beinahe alle Gefangenen sie sehen können“, erklärt Hattenhauer. In Anspielung auf Poelchaus Tätigkeit zeigt sie die Silhouette eines Mannes, der mit einer Aktentasche durch eine Mauer hindurchschreitet. Dazu gehört ein Spiegel mit der Aufschrift „Was braucht es, einem anderen zu helfen?“, der vor den Mauern der JVA montiert ist. Die Antwort auf diese Frage sei einfach, sagt Hattenhauer. „Denn wenn man in den Spiegel schaut, sieht man sich selbst.“