Artikel teilen:

“Warum soll eine Pfarrerin nicht zu ihrer Weiblichkeit stehen”

Die Karlsruher Pfarrerin Anne Helene Kratzert ist seit Anfang Mai Kirchentagspastorin. Auf dem Kirchentag 2025 in Hannover will sie die Diversität des Christentums darstellen. Auch als Privatperson setzt sich die frühere ZDF-Pfarrerin für ein vielfältiges Pfarrerbild ein, erzählt Kratzert im Gespräch mit dem epd. Dafür spielt sie gerne mit einem roten Lippenstift.

epd: Warum passt ein roter Lippenstift zu einer Pfarrerin?

Kratzert: Weil wir alles sein können. Meine Idealvorstellung ist, dass wir Pfarrer und Pfarrerinnen die gesamte Vielfalt der Gesellschaft abdecken. Wir können jung oder alt sein, verschiedene Hautfarben oder Beeinträchtigungen haben, transgender sein, non-binär, offensiv weiblich oder klassisch männlich einen Vollbart tragen.

epd: Warum ist Ihnen das wichtig?

Kratzert: Zu Beginn meines Berufslebens hat eine höherstehende Person gesagt: „Wenn Sie so sind wie sie sind – mit ihren blonden Haaren und Kleidern. So schließen Sie mehr Türen, als dass Sie welche öffnen.“ Damals habe ich mich für diesen Rat bedankt. Ich habe erst viel später verstanden, wie diskriminierend das war. Ich will mir nicht mehr sagen lassen, dass ich falsch bin. Warum soll eine Pfarrerin nicht zu ihrer Weiblichkeit stehen? Daher habe ich den Kampf aus meiner Position aufgenommen. Als Frau, die so ist, wie sie ist.

epd: Und wo stehen wir da gesellschaftlich?

Kratzert: Wir haben schon ein Stück des Weges geschafft. Nach meinem letzten ZDF-Gottesdienst am Ostersonntag rief ein älterer Pfarrer an und sagte: „Früher hätte er sich über meinen Lippenstift aufgeregt, heute denke er sich, ‘warum nicht?’“. Wir dürfen auch nicht so tun, als hätte es mit Attraktivität verbundene Dinge in der Kirche noch nie gegeben. Die Pfarrer, die früher auf der Kanzel eine Zigarre rauchten, versandten damit auch eine Botschaft. Sie haben darüber nur nicht geredet, keine Rechenschaft abgelegt. Wir fangen erst an, auch durch die Forum-Studie, über Macht im Pfarrbereich wirklich zu reflektieren.

epd: Nach neun Jahren als Pfarrerin in den Bergdörfern Karlsruhe haben Sie Anfang Mai als Kirchentagspastorin angefangen. Sie verantworten das geistlich-liturgische Programm des Kirchentags 2025 in Hannover. Was wünschen Sie sich für den Kirchentag?

Kratzert: Ich freue mich, wenn es uns gelingt zu zeigen, wie divers Christen in Deutschland und im deutschsprachigen Raum sind. Wir sollten unsere jeweiligen Blasen aufstechen und mit anderen in ein gutes Gespräch kommen. Und dabei wünsche ich mir, dass wir nicht so „superkonsensorientiert“ sind. Wir könnten einfach zuhören, auch mal Dissens stehen lassen, das gehört zu einer offenen Gesellschaft, und in die schöne leichte Stimmung kommen, die ich am Kirchentag mag.

epd: Wie unterscheidet sich ihre Arbeit als Kirchentagspastorin von ihrer früheren als Gemeindepfarrerin?

Kratzert: Toll ist, wie strukturiert meine Arbeit beim Kirchentag ist. Mein Laptop war fertig, auf dem Handy alle Apps, meine Fortbildungen stehen fest – die ganze Infrastruktur läuft.

epd: Und was ist schwerer?

Kratzert: Ich muss lernen, loszulassen. Als Pfarrerin war ich es gewohnt, die Zügel in der Hand zu halten. Aber die Projektgruppen beim Kirchentag sind ehrenamtlich. Da darf ich nicht engmaschig kontrollieren, sondern muss darauf vertrauen, dass Dinge zwischen Sitzungen erledigt werden. Das ist gar nicht so leicht.