Positionen der Kirche können sich ändern – auch beim Thema atomare Abschreckung. Die Evangelische Kirche legt nun die erste große friedensethische Positionierung seit 2007 vor. Es geht auch um hybride Kriegsführung.
Eine mögliche Notwendigkeit atomarer Abschreckung: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat in ihrer neuen Friedensdenkschrift veränderte Positionen vorgestellt. Das Grundlagenpapier unter dem Titel “Welt in Unordnung – Gerechter Frieden im Blick” ist die erste große friedensethische Positionierung der deutschen Protestanten seit 2007 und wurde am Montag vorgestellt.
Darin bekennt sich die EKD nicht nur zum Vorrang des “Gerechten Friedens”. Im Unterschied zu früheren Veröffentlichungen erkennt man dabei eine mögliche Notwendigkeit einer atomaren Abschreckung an: “Ethisch ist die Ächtung von Atomwaffen aufgrund ihres verheerenden Potenzials geboten”, heißt es. “Der Besitz von Nuklearwaffen kann aber angesichts der weltpolitischen Verteilung dieser Waffen trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten bedeuten könnte.”
Der Denkschrift zufolge sind nachhaltiger Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit nur dann erreichbar, wenn körperliche Unversehrtheit und der Erhalt staatlicher Integrität gesichert sind. “Gerechter Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg”, sagte die EKD-Ratsvorsitzende, Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs, in Dresden vor der Synode der Evangelischen Kirche.
“Es bleibt ein Gebot der Nächstenliebe, dass wir Menschen, die an Leib, Leben und ihrer Würde bedroht sind, nicht schutzlos der Gewalt ausgesetzt lassen.” Letztlich bleibe ein Dilemma, das sich nicht auflösen lasse. “Gewalt anzuwenden ist nicht möglich, ohne schuldig zu werden”, so Fehrs. “Aber auch Menschen oder Staaten machen sich schuldig, die Gewalt zulassen und Menschen nicht vor ihr schützen.” In der Denkschrift heißt es: “Die Entscheidung zu Waffenlieferungen und Rüstungsexporten wird sich daran messen lassen müssen, dass eine Eskalation der Gewalt vermieden wird.”
Gewarnt wird vor einer wachsenden Gefahr hybrider Kriegsführung. Durch Desinformation, digitale Manipulation und gezielte Polarisierung drohe die Aushöhlung demokratischer Strukturen. “Plurale Demokratien mit ihren langen parlamentarischen Aushandlungsprozessen sind besonders geeignete Ziele hybrider Kriegsführung.” Notwendig sei eine europäische Gesamtstrategie gegen hybride Angriffe. “Die christliche Botschaft setzt auf Hoffnung und Zuversicht statt auf Angstmacherei”, sagte Fehrs. “Kirchen sind Orte der Aufklärung, der Resilienz und des respektvollen Diskurses – gerade in Zeiten, in denen Manipulation und Falschinformation die öffentliche Debatte verzerren.”