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“Wackersdorf” – vielschichtige Reise in die Achtzigerjahre

Vielschichtiges Drama um die geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die in den 1980er-Jahren am Widerstand der Bevölkerung scheiterte. Eine zentrale Rolle spielte dabei ein Landrat.

Vielschichtiges Drama um die geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die in den 1980er-Jahren am Widerstand der Bevölkerung scheiterte. Eine zentrale Rolle spielte dabei ein Landrat.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Anfang der 1980er-Jahre plant die Bayerische Staatsregierung eine atomare Wiederaufbereitungsanlage in der Oberpfalz. Als Landrat von Schwandorf ist Hans Schuierer (Johannes Zeiler) zunächst begeistert, bis immer deutlicher wird, wie falsch die Behauptung der Regierungsvertreter aus München ist, die Anlage berge keinerlei Gesundheitsrisiko. Schließlich verliert auch das rabiate Vorgehen gegen den Widerstand der örtlichen Atomgegner jegliches Maß. So stellt sich der Politiker schließlich an die Spitze des ländlichen Widerstandes.

Der vielschichtige Film von Oliver Haffner aus dem Jahr 2018 widmet dem Oberpfälzer Volkshelden ein differenziertes Porträt, das durch leise Komik, eine sorgsame Ausstattung und wunderbare Schauspieler besticht. Auch wenn der Film mit Blick auf Wutbürger-Exzesse der letzten Jahre etwas blauäugig mit der “Politik auf der Straße” umgeht, richtet sich das Zeitbild über eine streitbare Zivilgesellschaft, in der sich Engagement, Idealismus und Haltung auszahlen, nicht zuletzt auch an die Gegenwart.

In der Oberpfalz gebe es auch gute Weißwürste, wagt der sozialdemokratische Landrat schüchtern einzuwenden. Der Staatsminister von der CSU hat aus München welche mitgebracht und lobt deren “strenge” Rezeptur: Im Sud schwimme dann auch immer ein bisschen Petersilie. Das seien eben “die feinen Unterschiede”. Aber hat nicht der Oberpfälzer Wirt den Sud zubereitet? Diese sehr komische Szene ziemlich zu Beginn von “Wackersdorf” beschreibt subtil das Kräfteverhältnis zwischen einer strukturschwachen Region, dem Landkreis Schwandorf, und der im wirtschaftsverwöhnten Oberbayern residierenden Landesregierung.

Die Szene spielt im Jahr 1981; der Staatsminister will dem Landrat eine Wiederaufbereitungsanlage für ausgediente Brennstäbe und Atomabfall schmackhaft machen. Der Landrat ist von der “WAA Wackersdorf” zunächst begeistert. Mehr als 3.000 Arbeitsplätze für die Region würden Aufschwung bedeuten, eine Zukunft für viele ehemalige Bergarbeiter.

Der Landrat heißt Hans Schuierer, es gibt ihn wirklich. Der gelernte Maurer und Wegemacher änderte seine Haltung, nachdem er viel über Kernenergie gelesen, mit Kritikern gesprochen und sich kundig gemacht hatte. Er wurde zu einer der führenden Figuren des Widerstands gegen die Wiederaufbereitung.

“Wackersdorf” von Oliver Haffner stellt Schuierer ins Zentrum. Es ist ein biografischer Film über den oberpfälzischen Volkshelden, ein neuer Heimatfilm und ein historischer Film. Er legt den Finger in die Wunde und bleibt bis heute aktuell. “Hier entscheidet sich die Zukunft eines demokratischen Bayerns”, sagt Schuierer in “Wackersdorf” einmal. Der Film ist ein eindringlicher Appell, sich zu wehren, für Demokratie und Freiheit zu kämpfen. Er erzählt davon, dass Engagement, eine politische Haltung und Idealismus durchaus Erfolg haben können.

Die Schauspieler, allen voran Johannes Zeiler als Landrat Hans Schuierer und die in Schwandorf aufgewachsene Anna Maria Sturm als Schuierers anfängliche Antagonistin Monika Gegenfurtner, agieren toll und sprechen dabei auch Dialekt. Hervorzuheben ist auch Fabian Hinrichs (“Tatort Franken”) als schmieriger Lobbyist.

“Wackersdorf” ist liebevoll ausgestattet; die Kostüme stimmen bis ins Detail und verschmelzen geradezu mit den dokumentarischen Aufnahmen aus der Zeit. Der Blick fürs Detail, ein Sinn für leise Komik und die zeitlose schöne Blasmusik der Münchner Band Hochzeitskapelle fallen besonders auf. Die Inszenierung besticht durch eine vielschichtige Figurenzeichnung und Landschaftsaufnahmen von fast künstlicher Schönheit in entsättigten Farben. Die zurückgenommene Inszenierung entwirft so ein überzeugendes Erinnerungsbild der 1980er-Jahre.

Der Staatsminister (eine Rolle, die dem Kabarettisten Sigi Zimmerschied auf den Leib geschrieben ist) zuzelt seine Weißwurst, während der Landrat seine mit Messer und Gabel isst, mit einem deutlichen Anflug von Verachtung beobachtet von seinem Gegenüber. “Wackersdorf” ist ein großartiger politischer, ebenso kluger wie unterhaltsamer Film. Absolut sehenswert, sozusagen Staatsbürgerpflicht. Für “Chaoten”, “verirrte Blumenkinder” und solche, die es werden wollen. Nicht nur in Bayern.