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Vor 80 Jahren begann die Vertreibung der Donauschwaben

Die Geschichte der deutschen Siedler im Südosten Europas ist heute wenig bekannt. Einst kamen sie als gefragte Bauern und Handwerker. Durch den Zweiten Weltkrieg wurden sie zu einer verhassten Minderheit.

Die österreichische Seele mag einiges verkraften. Aber als “Schwabe” bezeichnet zu werden – da hört der Spaß für viele auf. Dabei ist “Schwabo” in der Wiener Migranten-Community ein gängiger Begriff, mit dem – ohne böse Absicht – alle deutschen Muttersprachler zusammengefasst werden. Der Grund liegt in der gemeinsamen Geschichte von Deutschland und Österreich – und einer deutschen Siedlerkultur auf dem Balkan, die vor 80 Jahren jäh endete.

Kaiserin Maria Theresia ließ dort ab dem 18. Jahrhundert deutschsprachige Handwerker, Bauern und Bergleute ansiedeln. In kleinen, improvisierten Booten, sogenannten Ulmer Schachteln, ließen sich die Glücksritter die Donau hinuntertreiben: erst durch österreichisches Kernland, dann weiter bis in den neueroberten Süden der Habsburgermonarchie. “Damals durften nur Katholiken in diese Siedlungsgebiete ziehen. Andersgläubige, zumeist Protestanten, konnten erst nach dem Toleranzpatent von Joseph II. Siedlungen übernehmen”, sagt Angela Ilic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Münchner Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas.

Die deutsche Minderheit ging als “Donauschwaben” in die Geschichtsbücher ein. Wobei der Sammelbegriff in die Irre führt. Zwar stammten viele aus der südwestdeutschen Region, jedoch erinnert Ilic: “Die Siedler kamen aus den unterschiedlichsten Teilen des Heiligen Römischen Reichs, darunter aus Württemberg, Baden, Elsass, Lothringen, aus der Pfalz, auch aus Böhmen.”

Sie lasen deutsche Zeitungen, schickten ihre Kinder auf deutsche Schulen, beteten auf Deutsch. Doch vor 80 Jahren fand die Kultur der Donauschwaben ein brutales Ende – besiegelt durch den Zweiten Weltkrieg. Während im “Unabhängigen Staat Kroatien” das rechtsextreme Ustascha-Regime an die Macht gekommen war, wurden Serbien und das restliche Jugoslawien von deutschen Truppen besetzt. In Belgrad installierten sie eine Hitler-treue Marionettenregierung. Viele Donauschwaben sympathisierten mit dem NS-Regime. Dieses wiederum betrachtete die Siedler als “Volksdeutsche”. Sie selbst sahen sich schon lange so.

Doch die Nähe zum Hitlerregime sollte fatale Folgen haben. Im Oktober 1944 gelang es den Partisanen von Josip Broz Tito, dem späteren Jugoslawien-Machthaber, die deutschen Besatzer zu vertreiben. Unterstützt wurden sie von der Roten Armee. Deren Vorrücken löste unter den Donauschwaben eine Massenflucht aus. Wer nicht rechtzeitig floh, wurde in Lagern interniert. 50.000 Deutschstämmige starben Schätzungen zufolge dort an Hunger oder Krankheit, darunter Frauen, Kinder und Alte. Etliche Männer wurden erschossen.

Die Donauschwaben wurden kollektiv bestraft. Einige deportierte die Rote Armee auch in die Sowjetunion. “Als Kind hab’ ich ja wollen, dass ich keine Deutsche bin”, erinnerte sich Hilda Banski, eine 1940 geborene Donauschwäbin, kürzlich im Interview mit dem österreichischen ORF. Auch ihre Mutter wurde zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.

Banski lebt bis heute in Serbien. Dort wie auch im benachbarten Kroatien finden jährlich Gedenkfeiern und Gottesdienste für die deutschen Opfer statt. Eine einheitliche Gedenkkultur unter den Nachfahren gibt es laut Ilic aber nicht. Das liege an ihrer Zerstreuung: “Viele Donauschwaben sind in erster Etappe durch Deutschland oder Österreich gereist, wanderten danach aber weiter aus bis nach Australien, Südafrika, Nord- und Südamerika. Heute leben die Nachfahren der Donauschwaben überall auf der Welt.”

Zumindest in Baden-Württemberg wird ihre Kultur noch gepflegt. Das Land hat 1954 die Patenschaft für die zurückgekehrten Donauschwaben übernommen. “Das heißt, dort gibt es sehr viele verschiedene Projekte, Aktionen und Veranstaltungen”, so Ilic. Diese würden zum Teil auch von öffentlichen Geldern finanziert. Es gehe darum, jungen Generationen die Erinnerung, die Traditionen und das Erbe der Donauschwaben anschaulich zu machen.

In Belgrad gestaltet sich die Aufarbeitung schwieriger, wie der katholische Erzbischof Ladislav Nemet im Dezember 2023 betonte. Um den enteigneten Familienbesitz zu beanspruchen, müssten die Nachfahren der Donauschwaben beweisen, dass ihre Verwandten keine Kollaborateure des NS-Regimes waren. Der Prozess ist laut Nemet schwierig, aber möglich: “Man braucht einen Anwalt und viel Geld für die Einsicht in alle Archive.”