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Von der Leichtigkeit des Steins

Eine Architektur ohne Schwere, ohne Belastendes. Das Paderborner Diözesanmuseum widmet sich in einer Ausstellung der Gotik, dem Baustil der mittelalterlichen Kathedralen. Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 950. Domjubiläum in der Stadt an der Pader

Dioezesanmuseum Paderborn, archi

Die entscheidenden Impulse kamen im 12. Jahrhundert aus Frankreich und strahlten über ganz Europa. Der Stil der neuen Zeit – die Gotik – revolutionierte Architektur, Technik, Kunst, Kultur und Gesellschaft. Unter dem Titel „Gotik – Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa“ beleuchtet das Paderborner Diözesanmuseum gegenwärtig in einer großangelegten Ausstellung diese innovative Architektur- und Bildsprache des Mittelalters.
Ausgehend vom gotischen Neubau des Paderborner Doms, der 1215 begann und 1280 beendet wurde, entwirft die kulturhistorische Schau ein facettenreiches Panorama einer bewegten Zeit, deren Neuerungen Kunst und Baukultur in Europa prägten. Dabei sorgten geometrische Konstruktionsregeln – anschaulich auf einer Leinwand gleich am Eingang der Ausstellung zu sehen – für eine bislang nicht dagewesene Formenvielfalt, maßgebend für die nächsten Jahrhunderte.

Ziel: eine Architektur
ohne Schwere

Im 13. Jahrhundert seien in Europa die großen gotischen Kathe­dralen entstanden, sagt Museumsleiter Christoph Stiegemann. Inspiriert von bahnbrechenden Ideen der Franzosen habe die Baukultur der Gotik nicht nur die großen Städte erfasst, sondern auch bis in die ländliche Außenbezirke gewirkt. „Die Gotik schlug sich en miniature in allen Kunstgattungen nieder.“
Ziel des neuen Stils sei eine Architektur ohne Schwere, ohne Belastendes gewesen, mit lichtdurchfluteten Hallen, hohen farbigen Fenstern sowie Figuren, die tiefe menschliche Gefühle zeigen, erklärt Stiegemann. Wer eine Kirche mit ihren ausgestalteten Spitzbögen, Maßwerk und Kreuzrippen betrat, sollte sich fühlen, als sei er ins Paradies gekommen. „Als sei das himmlische Jerusalem nah, in einem steingewordenen Zeugnis des Glaubens.“ Diese Bau-Botschaft wurde damals durch die Länder transportiert, von Reims nach Paderborn und bis nach Riga.
Sechs Ausstellungseinheiten, mit zahlreichen 3D-Animationen bestückt, spiegeln im Diözesanmuseum des Erzbistums Paderborn die vielfältigen Veränderungen in der Epoche. Akzente setzen dabei rund 170 Exponate aus europäischen Museen und Sammlungen: Architekturfragmente, Baupläne bedeutender Kathedralen, Stein­skulpturen sowie kostbare Werke der Goldschmiedekunst, der Buchmalerei, Holz- und Elfenbeinschnitzereien. Die Ausstellungsstücke führen anschaulich die „Architekturbesessenheit“ der Zeit vor Augen, indem sie die Dekorationsformen der Baukunst maßstabgerecht wiedergeben.
Zu den herausragenden Stücken zählen unter anderem das Heiliggrabreliquiar aus Pamplona, das erstmals in Deutschland zu sehen ist, sowie die Reimser Palimpseste. Dabei handelt es sich um die ältesten erhaltenen Architekturzeichnungen, die einst dazu dienten, komplexe gotische Architekturformen zu planen und zu realisieren. Ihre Wirkung haben auch die gezeigten Skulpturen, wie der berühmte „Kopf mit der Binde“ des Naumburger Meisters von etwa 1240. Als Teil einer lebensgroßen menschlichen Figur aus dem verlorenen Westlettner des Mainzer Doms sollte der Kopf Trauer und Leiden als emotionale Formensprache verdeutlichen.
„Die gotische Skulptur besitzt eine ungeheure Ausdrucksqualität“, sagt Stiegemann. Da begegnet eine Engels-Büste aus dem Pariser Louvre dem Besucher mit einem verschmitzten Lächeln, während die Blattmaske aus Kalkstein aus dem Musée Cluny als dämonenhaftes, wildes Wesen daherkommt. Der Teufel aus der Werkstatt der Naumburger Werkstatt grinst höhnisch.
Die Sonderschau ist Höhepunkt der diesjährigen Feierlichkeiten zum 950. Domjubiläum in Paderborn. Die heutige Kathedrale steht auf den Grundmauern des 1068 vom damaligen Paderborner Bischof Imad geweihten Gotteshauses. Der Dom stammt im Wesentlichen aus dem 13. Jahrhundert. Charakteristisch für die dreischiffige Hallenkirche ist der romanische Westturm mit einer Höhe von 93 Metern.
Mit dem Blick auf die eigene Geschichte solle die Ausstellung die Bedeutung der Gotik als europäisches Phänomen herausstellen, erklärt Stiegemann. „Denn die Gotik als innovativer eigener Stil wurde über die Jahrhunderte überhaupt nicht wahrgenommen.“ In der Paderborner Ausstellung bis 13. Januar 2019 erlebt sie nun eine Renaissance. Der Museumsleiter rechnet mit mehr als 50 000 Besuchern.

– Das Diözesanmuseum Paderborn hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, jeden ersten Mittwoch im Monat bis 20 Uhr. Internet: www.dioezesanmuseum-paderborn.de/gotik.