Herz-Kreislauf-Erkrankungen kosten jedes Jahr mehr als 350.000 Menschen das Leben. Aus Sicht des Gesundheitsministers braucht es Check-Ups und im Zweifel Medikamente – auch für Kinder. Für den Vorschlag hagelt es Kritik.
Die Deutschen bewegen sich wenig, sitzen viel. Aus Sicht von Sportwissenschaftlern und Gesundheitsexperten pflegen 80 Prozent der Bundesbürger einen teils ungesunden Lebensstil. Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Wasser auf seine Gesetzesmühlen.
Der Minister, der in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf nach dem anderen aus dem Hut zaubert, nimmt den allgemeinen Gesundheitszustand der Bundesbürger in den Blick: mit dem geplanten “Gesundes-Herz-Gesetz”. Dies soll wohl bereits 2025 kommen. Doch die Kritik ist heftig und kommt aus allen Richtungen noch vor der Fachanhörung am kommenden Montag.
Dabei hat der Minister durchaus einen Punkt: Herz-Kreislauf-Erkrankungen – auch infolge eines ungesunden Lebensstils – sind in Deutschland Todesursache Nummer eins. Jährlich sterben mehr als 350.000 Menschen daran. Hier möchte Lauterbach gegensteuern: mit Herz-Checks für Erwachsene im Alter von 25, 35 und 50 Jahren. Per Einladung und mit Gutschein soll in Apotheken und Arztpraxen auf Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen getestet werden. Auch zu weiteren Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Alkohol und Rauchen soll es Beratungen in Apotheken geben – mit unter Umständen weiterführender Diagnostik beim Arzt.
Ein weiterer Schwerpunkt soll die Früherkennung von chronischen Erkrankungen im Kindesalter sein. Geplant sind Untersuchungen des Nachwuchses vor allem auf erblich bedingte Fettstoffwechsel-Störungen. Diese spielen nicht nur hinsichtlich der Herz-Gesundheit eine Rolle, sie erhöhen auch das Schlaganfallrisiko. So sollen Jugendliche auch früh über die Gefahren durch Alkohol, Rauchen und falsche Ernährung aufgeklärt werden.
Des weiteren sollen Medikamente zur Rauchentwöhnung und zum Senken des Cholesterinspiegels häufiger als bisher verschrieben werden können. Finanziert würden die Leistungen, so die Vorstellung des Ministers, von den Krankenkassen aus bestehenden Mitteln zur Gesundheitsprävention.
Doch wie bei seiner Reform der Krankenhäuser und der ambulanten Gesundheitsversorgung hat auch die Ankündigung des “Gesundes-Herz-Gesetzes” eine Welle der Kritik ins Rollen gebracht. In diesem Fall schlagen Experten aus allen Richtungen Alarm – von den Kassen über Mediziner bis hin zu Sozialverbänden. Insbesondere die geplante, auch teils frühe Abgabe von Cholesterinsenkern, sogenannten Statinen, wird heftig kritisiert.
In einer gemeinsamen Erklärung beklagen die gesetzlichen Kassen, dass Beitragsgelder, die derzeit in qualitätsgesicherte Präventionskurse für alle Altersklassen flössen, künftig für Arzneimittel und Check-ups genutzt werden sollten. Dabei sei der wissenschaftliche Nutzen von Statinen bei Kindern gar nicht klar nachgewiesen.
Für die Kassenärztliche Bundesvereinigung hebelt der Gesetzentwurf gar “das gesetzlich verankerte Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot” aus. Eine Kritik, die ähnlich auch von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege kommt. Es sei nun einmal Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten und Krankenkassen, über geeignete Therapien, Untersuchungsmethoden und Medikamente für die Bevölkerung zu entscheiden.
Cholesterin- oder Lipidsenker seien wirksame Medikamente, aber mit teils erheblichen Nebenwirkungen. “Prävention ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz, das Gesetz verlässt jedoch hier das Spielfeld der evidenzbasierten Medizin”, so KBV-Vorstand Andreas Gassen.
Prävention und Früherkennung seien richtig und wichtig, aber die erste Vorbeugung beginne in der Schule und durch Aufklärung oder etwa über Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel. Und die Apotheken zu Beratungsstellen zu machen, sei “ein Irrweg”. “Medizinische Beratungen sind unstrittig Heilkunde. Und die Heilkunde ist Ärztinnen und Ärzten vorbehalten”, so Gassen weiter.
Der ehemalige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Jürgen Windeler, formuliert es drastischer: “Check-ups machen die Menschen krank, sie machen durch Laboruntersuchungen aus gesunden Menschen von jetzt auf gleich Kranke, und zwar oft lebenslang.”