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Verwaltungsgericht: Zurückweisungen an Grenzen rechtswidrig

Die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) forcierten Zurückweisungen Asylsuchender an den deutschen Grenzen sind nach einem Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Das Gericht entschied nach Angaben vom Montag in mehreren Eilverfahren, dass Schutzsuchende nicht ohne das europarechtlich vorgegebene Dublin-Verfahren zurückgewiesen werden dürfen (AZ: VG 6 L 191/25 u.a.). Es müsse zumindest geprüft werden, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.

Bundesinnenminister Dobrindt erklärte in einer ersten Reaktion am Montagabend in Berlin, er strebe das Hauptsacheverfahren an, von dem er eine weitere juristische Klärung erwarte. „Wir halten an den Zurückweisungen fest“, erklärte er.

In den Fällen ging es nach Gerichtsangaben um eine Frau und zwei Männer aus Somalia, die am Bahnhof Frankfurt (Oder) von der Bundespolizei kontrolliert und zurückgewiesen wurden, nachdem sie ein Asylgesuch gestellt hatten. Laut der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die nach eigenen Angaben für die rechtliche Vertretung der Betroffenen gesorgt hatte, handelt es sich bei der Frau um eine 16-Jährige. Sie habe Verletzungen gehabt, wegen derer sie sich kaum hätte fortbewegen können. Dennoch sei sie zurückgewiesen worden.

Die Bundesregierung hatte eigentlich angekündigt, dass vulnerable Gruppen wie Kinder, Schwangere und „sichtbar Erkrankte“ nicht zurückgewiesen werden sollen. Dobrindt erklärte, die drei Asylsuchenden hätten erstmals am 2. Mai versucht, nach Deutschland einzureisen. Ein zweiter Versuch sei am 3. Mai erfolgt. Beide Male hätten die Frau und die zwei Männer nicht um Asyl gebeten. Erst am 9. Mai hätte sie bei ihrem dritten Versuch einen Antrag auf Asyl gestellt, seien aber von der Bundespolizei zurückgewiesen worden. Der Minister bezeichnete dies als „folgerichtig“.

Die 6. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts entschied in den drei Eilverfahren, dass die Zurückweisungen grundsätzlich nicht mit geltendem Recht vereinbar sind. Die Bundesregierung könne sich bei der Nichtanwendung der Dublin-Verordnung nicht auf eine Notlage berufen, betonte das Gericht. Es verwies dabei auch konkret auf die Ausnahmeregelung des Artikels 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, den Dobrindt zur Argumentation herangezogen hatte. Es fehle dafür „bereits an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ durch die Bundesregierung, hieß es. Der Artikel erlaubt in einer Notlage Abweichungen der Nationalstaaten von EU-Vorgaben.

Der Minister erklärte, für das Hauptsacheverfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht wolle man die dezidierte Begründung nachliefern. Er gehe davon aus, dass der Staat dann auch in den Verfahren Recht bekommen werde. Er sehe keinen Grund, aufgrund des Gerichtsbeschlusses in diesen Einzelfällen die Praxis der Zurückweisung zu ändern.

Der CSU-Politiker hatte die zuvor im Wahlkampf von CDU und CSU angekündigten Zurückweisungen Asylsuchender an den Grenzen unmittelbar nach der Amtsübernahme als Bundesinnenminister am 7. Mai ausdrücklich erlaubt. Vorgängerregierungen hatten diese Maßnahme bislang mit Verweis auf das europäische Recht immer abgelehnt. Dobrindt gab an, dass zwischen dem 8. Mai und dem 1. Juni insgesamt 2.850 Personen an den Grenzen zurückgewiesen worden seien.

Pro Asyl begrüßte die Gerichtsentscheidung. „Die europarechtswidrige Praxis, Asylsuchende zurückzuweisen, muss sofort beendet werden“, erklärte Geschäftsführer Karl Kopp. Die Grünen sahen sich in ihrer Kritik an den Zurückweisungen bestätigt. „Die Grenzblockaden waren eine Absage an das europäische Dublin-System und haben unsere europäischen Nachbarn vor den Kopf gestoßen“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Sie forderte Dobrindt auf, jetzt „unverzüglich“ seine Anordnung zurückziehen.