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Verantwortung abgewälzt

Mit einer Kampagne will das Land Nordrhein-Westfalen den Männern Mut machen, mehr Verantwortung für Familienaufgaben zu übernehmen. Eigentlich eine sinnvolle Sache. Aber: Es bleiben Fragen.

Obwohl sich die Einstellung der Männer zu Familie und Kindern in den vergangenen Jahren stark verändert habe und 60 Prozent der Väter sich gerne die Kinderbetreuung mit ihrer Partnerin teilen möchten, sei die Realität zumeist eine andere, erklärte Landesfamilienministerin Christina Kampmann zum Auftakt. Dieser Widerspruch müsse dringend aufgelöst werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei „eine Frage unserer gesellschaftlichen Zukunft“. Im Internet wird dieses Statement mit einem Foto unterstützt, das einen Vater zeigt, der seiner Tochter liebevoll ein Pflaster auf dem Arm klebt.
So weit – so gut. Denn die politische und gesellschaftliche Zielrichtung dieser Kampagne ist durchaus unterstützenswert. Dass sie dennoch alte Wunden aufreißt, liegt an etwas anderem – an ihrem Titel.  Der lautet nämlich: „Vater ist, was Du draus machst“.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Was Du draus machst… Statt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in die Verantwortung zu rufen, bessere Rahmenbedingungen für Väter und Familien zu schaffen, wälzt die Kampagne die Verantwortung auf den einzelnen Mann ab. Auf verstörende Weise werden Väter allein gelassen: Wenn du nichts machst aus deinem Vater-Sein, dann ist es ganz allein deine Schuld.  
Ich sehe ihn vor mir, den jungen Mann im Angesicht des Personalchefs. „Ich bin jetzt Vater geworden“, sagt er. „Und möchte nicht nur zwei Monate Elternzeit nehmen, sondern die komplette Zeit. Ich will mein Kind nicht nur schlafend sehen.“ „Vergessen Sie das, falls Sie bei uns Karriere machen wollen“, ist die ganze Antwort. Um beim Schließen der Tür noch einen Satz hinzuzufügen: „Und übrigens: Vater ist, was Du draus machst…“
Ja, wir brauchen aktive Väter. Väter, die in allen Situationen für ihre Söhne und Töchter da sind. Väter, die Verantwortung übernehmen. Aber dazu gehören unabdingbar politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Väter nicht allein lassen, sondern sie dabei unterstützen, diese Rolle aktiv wahrzunehmen.
Vater ist, was wir alle zusammen draus machen.

Der Autor Martin Treichel ist Landesmännerpfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen.