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Vatikanische Krisendiplomatie für Nahost

Die Vatikan-Diplomatie hat einen guten Ruf und arbeitet diskret. Sie agiert vorsichtig, vorausschauend und neutral, um gegebenenfalls vermitteln zu können. Der Krieg in Israel stellt sie vor neue Herausforderungen.

Der Nahe Osten steht ganz oben auf der diplomatischen Prioritätenliste des Heiligen Stuhls. Das besondere Augenmerk gilt der Lage der Christen im Heiligen Land und dem Frieden unter den Religionen, vor allem in Jerusalem. Seit Päpste in der Moderne reisen, waren sie alle dort, zur Pilgerfahrt und Friedensmission Zu den Sternstunden der Papst-Diplomatie gehörte die Friedenszeremonie der politischen Kontrahenten Schimon Peres und Mahmud Abbas im Juni 2014 mit Papst Franziskus in den Vatikanischen Gärten, die einen neuen Weg zum Frieden einleiten sollte.

Doch das friedliche Bild von damals wirkt heute wie eine Aufnahme aus einer anderen Epoche. Der terroristische Hamas-Angriff hat die an behutsames Agieren gewohnten Vatikan-Diplomaten an Grenzen gebracht – und Irritationen in der römischen Kirchenzentrale ausgelöst, bis hin zum Papst.

Seine erste Stellungnahme enttäuschte, schien zu allgemein und konturlos. Franziskus beklagte Hunderte Tote, äußerte Anteilnahme und forderte das Schweigen der Waffen. Aber er benannte nicht Aggressor und Opfer, und er vermied eine eindeutige Verurteilung. Das brachte ihm harsche Kritik ein, nicht nur aus Israel.

Zuvor hatten bereits die Jerusalemer Patriarchen und Kirchenführer in einem noch vageren Aufruf festgestellt, das Heilige Land werde derzeit von Gewalt und Leid geprägt. Grund seien ein “anhaltender politischer Konflikt und das beklagenswerte Fehlen von Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte”.

Zufällig nahm Israels Vatikan-Botschafter Raphael Schutz gerade in Rom an einem Kongress über Pius XII. und sein Verhalten zum Holocaust teil. Er nutzte die Plattform für eine unverhohlene Warnung: Wer es nicht schaffe, in Schlüsselmomenten eine klare und unmissverständliche Haltung zu den großen Ereignissen der Zeit einzunehmen, sollte sich “sehr ernste Fragen stellen”.

In den folgenden Tagen konnte man wie im Lehrbuch das Vorgehen der Vatikan-Diplomatie im Kriegsfall verfolgen – ähnlich wie zuvor im Ukraine-Krieg. Die allgemein gehaltenen Äußerungen zu Beginn wurden aufgrund neuer Erkenntnisse und Gegebenheiten zunehmend konkretisiert und weiterentwickelt. Der Vatikan nutzte seine Kontakte, der Papst telefonierte mit US-Präsident Joe Biden. Und er nutzt seither jeden öffentlichen Auftritt, um die Vorgänge in Israel immer deutlicher zu benennen und die eigenen Anliegen zu präzisieren – dabei beide Seiten im Blick, die Lage “in Israel und in Palästina”. Denn beim Vatikan schwingt immer auch die Sorge um die Christen in der muslimischen Welt mit – was der Papst auch mit seinen Telefonaten mit der einzigen katholischen Pfarrei in Gaza unterstreicht.

Franziskus betonte aber auch das legitime Verteidigungsrecht Israels und forderte eine Freilassung der Geiseln. Zugleich verlangte er Respekt und humanitäre Rechte für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Krieg sei nie eine Lösung, ebenso wenig Terrorismus und Extremismus, Hass und Rache. Zuletzt zeichneten sich zwei Akzente ab: eine humanitäre Katastrophe in Gaza durch geeignete Hilfsmaßnahmen vermeiden und eine weitere Eskalation in der Region verhindern. Das gilt insbesondere an der blauen Linie zum Libanon, wo die waffenstarrende Hisbollah mit iranischer Hilfe eine politische und militärische Macht darstellt.

Neben dem Papst äußerte sich sein Chef-Diplomat, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, zunehmend direkter. Im Grußwort beim Pius-Kongress beließ er es noch bei einer allgemeinen Verurteilung des Terror-Angriffs und einem Appell zur Verhältnismäßigkeit – ohne Ross und Reiter zu nennen. Das tat er aber zwei Tage später in einem Interview mit Vatikan-Medien: Der Terroranschlag der Hamas und anderer Milizen sei “unmenschlich”. Der Heilige Stuhl “verurteilt dies auf das Schärfste”. Ausdrücklich äußerte er die Bereitschaft des Vatikans zu einer Vermittlung.

Gleichzeitig benannte er Prinzipien und Ziele für eine Zukunft in der Region. Der Heilige Stuhl hält an einer Zwei-Staaten-Lösung fest, die Palästinensern und Israelis ein Leben in Frieden und Sicherheit ermöglicht. Auch wenn diese Lösung “in letzter Zeit für einige auf beiden Seiten nicht mehr machbar scheint, für andere es nie war: Der Heilige Stuhl ist vom Gegenteil überzeugt und unterstützt sie weiterhin.” Und der Weg zu dauerhaftem und gerechtem Friede könne nur über direkte Verhandlungen von Israelis und Palästinensern führen – mit internationaler Unterstützung.

Solche Verhandlungen sind angesichts des Hamas-Terrors allerdings in weite Ferne gerückt. Die vatikanischen Diplomaten müssen in diesen Tagen jedes Wort noch sorgfältiger abwägen als ohnehin schon. Sonst droht ihnen das gleiche Schicksal wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Der vertrat im Nahost-Krieg bisher eine ähnliche Haltung wie der Heilige Stuhl. Aber nach auffallend israelkritischen Äußerungen am Dienstag bei einer Sitzung des Weltsicherheitsrats lehnt Jerusalem weitere Gespräche mit ihm ab.