Ein wahrscheinlich durch elterliche Gewalt erlittenes Schütteltrauma bei einem Säugling muss nicht zwingend zum dauerhaften Sorgerechtsentzug führen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Kann eine künftige Kindeswohlgefährdung abgewendet werden, indem die überforderten Eltern zeitweise in einer Eltern-Kind-Einrichtung leben und beide Elternteile nicht zu Gewaltausbrüchen neigen, kann das die Rückübertragung des Sorgerechts begründen, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Beschluss des Gerichts. (AZ: 1 BvR 1404/24)
Im konkreten Fall wurden die Eltern eines vierwöchigen Säuglings aus dem Landkreis Helmstedt im Oktober 2022 in einer Kinderklinik vorstellig. Dort wurden unter anderem Hirnverletzungen festgestellt, die wahrscheinlich von einem Schütteltrauma stammten. Das Ehepaar stritt eine Gewaltanwendung gegen ihr Kind ab. Nach einer Operation am Kopf des Kindes verheilten die Verletzungen ohne bleibende Schäden.
Das zuständige Familiengericht entzog auf Veranlassung des Jugendamtes den Eltern wegen Kindeswohlgefährdung weite Teile des Sorgerechts. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig übertrug das Sorgerecht wieder zurück auf die Eltern, allerdings mit der Auflage, dass sie sich zusammen mit dem Kind in eine Eltern-Kind-Einrichtung begeben und dort für eine vom Jugendamt festgelegte Zeit bleiben müssen. Auch nach diesem Aufenthalt sollte die Behörde die weitere Entwicklung des Kindes unterstützen.
Der gerichtlich bestellte Verfahrensbeistand, der die Interessen des Kindes sicherstellen soll, legte gegen die OLG-Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein.
Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass trotz des wahrscheinlich ausgeübten Schütteltraumas die Eltern das Sorgerecht wieder erhalten können. Zwar sei der Staat zum Schutz des Kindes verpflichtet. Doch nicht jedes Versagen der Eltern dürfe zum dauerhaften Entzug des Sorgerechts führen. Eltern hätten bei Pflege und Erziehung grundsätzlich Vorrang, hieß es.
Auch habe das OLG mit Blick auf zwei Sachverständigengutachten ausreichend begründet, warum keine weiteren körperlichen Übergriffe auf das Kind zu erwarten seien. So schlafe das Kind nachts durch, was wiederum die Überlastung der Eltern mindere. Auch sei die Zusammenarbeit mit den Eltern in der Eltern-Kind-Einrichtung positiv verlaufen. Eine Neigung zu erheblichen Gewaltausbrüchen habe nicht bestanden, hieß es.