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Unterwegs als „Fremder“

Das Museum „Religio“ in Telgte nähert sich in der Schau „Pilgerwelten“ den Erfahrungen des Pilgerns unter verschiedenen Aspekten an. Dabei werden unter anderem historische und aktuelle Praxis des religiösen Unterwegsseins nebeneinandergestellt

Picasa

Das Thema Pilgern ist „in“. Gerade wurde die letzte Wegstrecke „Wege der Jakobspilger in Westfalen“ durch die Altertumskommission des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) eröffnet. Sie führt von Bielefeld über Münster nach Wesel.

Auf dem Weg liegt Telgte, ein bekannter Marienwallfahrtsort und Sitz des Museums „Religio“, das dem Pilgern jetzt eine eigene Ausstellung widmet. Der Schwerpunkt liegt auf der Geschichte der Jakobspilger, die sich im Mittelalter von überall in Europa auf den Weg nach Santiago de Compostella in Nordspanien machten. Sie stellt darüber hinaus aber auch zeitgenössische Aspekte des Pilgerns dar, vergleicht historische Pilgerberichte mit aktuellen und lädt ein, sich neben der praktischen auch mit der spirituellen Seite des Unterwegsseins zu befassen.

Was bleibt zurück, wenn es losgeht?

„Die Besucher machen sich in unserem Museum auf einen Weg“, erläutert Anja Schöne, Kuratorin der Ausstellung „Pilgerwelten“ und stellvertretende Museumsleiterin. Das ist anschaulich inszeniert: Zu Beginn der Schau liegen in kleinen Stapeln feine Kleider, Handy und Notebook, Zeitung und der Anzug fürs Büro. Sie stehen für Konsum, Hektik, Ablenkung  – Gewohnheiten, von denen man sich während des Pilgerns bewusst freimacht. Ein weißer Teppich führt Pilgerorte in aller Welt und aus allen Religionen auf und zeigt damit: Nicht nur im Christentum wird gepilgert.
Ein Raum ist dem westfälischen Abschnitt des Jakobsweges gewidmet. Historische Funde wie Pilgermuscheln, Pilgergräber und Inschriften bezeugen den regen Verkehr von Jakobspilgern in dieser Gegend, die meistens auf den großen Handelsrouten unterwegs waren, wie Anja Schöne erklärt. Ein Zentrum dieses religiösen Brauchs war offensichtlich Herford, wo auch mehrere Pilgerherbergen bezeugt sind.
Wie das Pilgern im späten Mittelalter aussah, erzählt der Bericht des jungen Ritters Arnold von Haas, der als 25-Jähriger 1495 am Niederrhein aufbrach und zwei Jahre lang die großen Pilgerstätten Europas bis hin nach Konstantinopel und Jerusalem besuchte. Die reich bebilderte Handschrift berichtet nicht nur von den spirituellen Erlebnissen des jungen Mannes, sondern auch von seinen Abenteuern unterwegs, dem Kontakt mit fremden Kulturen, den reichen Eindrücken seiner Reise. „Allein für diese Handschrift lohnt sich der Besuch der Ausstellung“, meint Anja Schöne.
Aber es geht in Telgte nicht nur um historische Aspekte des Pilgerns. Ganz aktuell und sinnfällig wird das zum Beispiel in der nachgebauten Pilgerherberge: Vier Pilgerinnen und Pilger haben hier mit ihren persönlichen Ausrüstungsgegenständen zwei schlichte Stahlrohr-Stockbetten eingerichtet, als wären sie tatsächlich unterwegs. Schlafsäcke, Kleidung und Tagebücher sind auf engstem Raum ausgebreitet; der Ausstellungsbesucher bekommt eine Ahnung davon, was es heißt, wochenlang nur mit dem auszukommen, was man auf dem Rücken tragen kann – eine Übung im Sich-Beschränken auf das Nötigste. Eine der Pilgerinnen wird ihre Wanderausrüstung bereits im Juli wieder abholen, erzählt Anja Schöne – sie macht sich dann wieder auf den Weg.
Pilgern hieß früher: Unterwegssein in dem Bewusstsein, dass Christen Fremde sind auf Erden („pelegrinos = fremd“) –, ohne bleibende Statt, unterwegs zum Himmlischen Jerusalem. Eine weitere Motivation, zu einer Pilgerfahrt aufzubrechen, war das Versprechen des Sündenablasses – eine Praxis, die dann von Martin Luther heftig kritisiert wurde.
Bei heutigen Pilgern sieht Anja Schöne eine Mischung von Motiven: Neben dem Bedürfnis nach Selbstfindung und spirituellen Erfahrungen stehen durchaus touristische Interessen wie ein intensives Kennenlernen von Land und Leuten. „Ich sehe darin einen guten Anknüpfungspunkt für Menschen, die religiös interessiert sind“, meint die Ausstellungsmacherin.

Ein Anknüpfungspunkt für religiös Interessierte

Die ausgestellten Pilgerberichte zeigen: Viele Pilger empfinden ihre Reise als etwas Besonderes, Herausgehobenes. In drei Räumen am Ende der Schau wird diesen Erfahrungen nachgespürt. Es geht etwa um die Frage, was das Gehen, häufig allein und über lange Strecken, in einem Menschen auslöst; darum, was sich im Laufe der Reise verändert und wie sich diese Veränderung auf das Leben nach der Pilgertour auswirkt.
Ein ausführlicher Katalog führt in das Thema der Ausstellung ein und behandelt neben dem Jakobuskult unter anderem verschiedene Aspekte des Pilgerns in den Weltreligionen.

Die Ausstellung „Pilgerwelten“ ist bis zum 6. September zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr. Telefon (0 25 04) 9 31 20, Internet: www.museum-telgte.de.