Artikel teilen:

Unterricht nach Stechuhr?

Höchstens 29 Schulstunden Unterricht pro Woche, dazu 14 Wochen Ferien im Jahr: Das Leben als Lehrkraft ist ein Traum, so lautet das Klischee. Doch mit Vor- und Nachbereitung, Korrekturen, Konferenzen, Schulfesten und Klassenfahrten leisten bayerische Lehrkräfte nach Berechnungen des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) etwa 52,5 Arbeitsstunden pro Woche. Die Katholische Erziehergemeinschaft (KEG) Bayern veranschlagt in einer aktuellen Pressemitteilung pro Schulstunde je 45 Minuten Vor- und Nachbereitung und kommt somit sogar auf 65 Wochenstunden.

Das Problem: Allen Zahlen liegen Schätzungen zugrunde. Zwar haben sowohl der Europäische Gerichtshof 2019 und das Bundesarbeitsgericht 2022 festgehalten, dass alle Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen müssen. Doch für Lehrkräfte ist dieser Beschluss laut Deutschem Schulportal der Robert Bosch Stiftung bislang in keinem Bundesland umgesetzt.

Das will die KEG Bayern zumindest für den Freistaat ändern und macht Druck: Zeiterfassung sei „ein längst überfälliger Schritt zum Schutz aller Lehrkräfte“, teilte der Verband gut zwei Wochen vor Schulbeginn mit. Die Belastungen seien in den letzten Jahren durch Digitalisierungsprojekte, heterogene Schülerschaften und Zusatzaufgaben wie der Verfassungsviertelstunde „massiv gestiegen“. Man erwarte vom bayerischen Kultusministerium „eine umfassende Reform“ hin zu einem flexiblen Jahresarbeitszeitmodell, das alle Tätigkeiten des Lehrerdaseins realistisch abbilde und mit Zeitbudgets versehe, so die KEG.

Etwas vorsichtiger äußert sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband auf Anfrage des Evangelischen Pressediensts (epd): Arbeitszeiterfassung allein sei kein Allheilmittel für die Probleme im Schulsystem. Gerade die flexible Einteilung ermögliche vielen Kolleginnen und Kollegen, Beruf und Familie zu vereinbaren, schreibt Hans Rottbauer, Leiter der Abteilung Dienstrecht im BLLV, in einem Kommentar für das nächste BLLV-Magazin, der dem epd vorliegt. Eine Präsenzpflicht von 35 Wochenstunden an der Schule, wie sie zum Beispiel für Vollzeitkräfte im Bundesland Bremen gelte, laufe dem zuwider. Zudem wären mehrtägige Klassenfahrten oder Elternabende nicht mehr möglich, weil dabei im Arbeitsschutz festgelegte Ruhezeiten nicht eingehalten werden könnten.

Andererseits zeigten Statistiken zur Dienstunfähigkeit eine deutliche Überlastung von Lehrkräften. In dieser „sehr widersprüchlichen Gemengelage“ plädiere man für ein System der Arbeitszeiterfassung nur auf Basis einer genauen Analyse, so Rottbauer: „Wir brauchen keine populistischen Forderungen, sondern echte Entlastung.“

Beim bayerischen Kultusministerium hält man sich derweil bedeckt. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gelte nicht nur für den Freistaat, sondern für alle Bundesländer, teilte eine Sprecherin auf epd-Anfrage mit. Derzeit liefen in Sachsen und Bremen Studien und Pilotversuche dazu, deren Ergebnisse man abwarten müsse. Zudem habe die Kultusministerkonferenz (KMK) noch unter der alten Bundesregierung eine Anfrage an das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gestellt, „um eine rechtsprechungskonforme Ausnahmeregelung für die Lehrkräfte von der Arbeitszeiterfassung zu erreichen“. Man wolle den Schulen den Verwaltungsaufwand zur Kontrolle der Arbeitszeiten ersparen und den Lehrkräften ihre Flexibilität erhalten, so die Sprecherin. Die Gespräche zwischen KMK und Ministerium seien „aktuell noch nicht abgeschlossen“.

Die Katholische Erziehergemeinschaft sieht die bayerische Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) „vor einer Grundsatzentscheidung“ und versucht, Brücken zu bauen: Man sei überzeugt, dass die Ministerin die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung als „Chance nutzen wird, um Bayerns Lehrkräfte nachhaltig zu entlasten und zu stärken“. Schließlich habe man das gleiche Ziel: “Mehr Zeit für Pädagogik und gesunde Lehrkräfte”, so die KEG. (2774/29.08.2025)