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“Unten – Im Ortsverein”: Doku über SPD kratzt nur an der Oberfläche

Dokumentarfilm über politische Basisarbeit am Beispiel eines Hamburger Ortsvereins der SPD und unzufriedene Partei-Mitglieder, die für einen Kurswechsel werben.

Die rote SPD-Fahne, die der Mann auf dem Filmplakat mit pathetischem Gestus in den Wind hält, gibt die Richtung vor. “Unten – Im Ortsverein” ist kein Film über die Arbeit an der Basis deutscher Parteien im Allgemeinen, sondern über die am Puls der SPD im Speziellen. In kleinerer Schrift ist das auch im Untertitel nachzulesen, der aus dem Orga-Statut der SPD zitiert: “vollzieht sich die Willensbildung von unten nach oben”.

Als exemplarische Quelle dieses Prozesses rückt Filmemacher Jan-Christoph Schultchen den Ortsverein Lohbrügge im Hamburger Bezirk Bergedorf in den Fokus. Zumindest am Anfang. Die Leute von unten an der Basis dürfen in die Kamera erklären, wie mühselig das Tagesgeschäft oft ist. Da braucht es schon Durchhaltevermögen und Idealismus.

Schultchen bebildert das mit ebenso ermüdenden Aufnahmen steriler Sitzungsräume, in denen neue Parteibücher ausgegeben, Ehrennadeln verteilt und Tagesordnungspunkte satzungsgemäß abgearbeitet werden. Die klinische Montage gipfelt irgendwann in der Frage: “Alle Stimmzettel abgegeben?” Wer aber worüber eigentlich gerade abstimmt, lässt sich da schon kaum mehr nachvollziehen.

Für den Ortsverein – oder Distrikt, wie es in Hamburg heißt – Lohbrügge hat sich Schultchen auch deshalb entschieden, weil der im Ruf steht, besonders aktiv, engagiert und lebendig zu sein. Davon allerdings ist zunächst wenig zu spüren. Michael Schütze, der Vorstandsvorsitzende der SPD-Lohbrügge, sitzt hinterm Schreibtisch am Telefon und erläutert, dass er, wenn sich jemand für die Arbeit im Ortsverein interessiere, gleich zu Beginn klarmache, dass in der SPD geduzt werde. Nicht allen falle das leicht.

Es dauert nicht lange, da hat Schultchen das Interesse an diesem Vorzeigedistrikt im SPD-Stammland merklich verloren und er wendet sich stattdessen denjenigen zu, die den “ganzen, langen, elenden Sitzungen” ebenfalls wenig Charme abgewinnen können: den Jusos in Bergedorf. Sie sind es dann auch, die er im restlichen Film vor allem begleitet.

“Unten – Im Ortsverein”, so ist in der SPD-Parteizeitung “vorwärts” zu lesen, sei “alles andere als ein Werbefilm für die SPD”. Ja, was denn sonst, mag man sich fragen, wenn auf einer Kreisdelegiertenkonferenz das Eigenlob für das aus angeregten Diskussionen in offenen Arbeitsgruppen hervorgegangene Bezirksversammlungswahlprogramm zu einem Vergleich mit der CDU führt, deren Wahlprogramm angeblich an einem Wochenende von oben herab als Ein-Mann-Projekt entstand und von den Delegierten nur noch abgenickt wird, was schließlich im Satz mündet: “Schön, dass es bei uns anders ist als bei der CDU.”

Eingeordnet wird dieser Satz im Film hinterher nicht etwa dadurch, dass jemand aus dieser CDU dazu Stellung bezieht, sondern im Gegenteil, indem Paul Kleszcz, der Co-Vorsitzende des Bergedorfer SPD-Kreisvorstands, weiter von den basisdemokratischen Strukturen der SPD schwärmen darf.

Was also sollte “Unten – Im Ortsverein” anderes sein als ein Werbefilm für ebendiese SPD? Eine mögliche Antwort darauf findet sich bei der Auswahl derjenigen, die Schultchen zu Wort kommen lässt. Als prominentester Vertreter der SPD ist das, wenn auch nur kurz, Ralf Stegner, der wie kaum ein anderer den linken Flügel innerhalb der Partei und die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik repräsentiert. Vor allem aber sind es die Bergedorfer Jusos, die diese Unzufriedenheit teilen, die sich Utopien wünschen, eine soziale Umverteilung und eine Rückbesinnung zum demokratischen Sozialismus, den sich die SPD einst auf die rote Fahne geschrieben hat.

Schultchen, bei dem es sich durchaus um den heroischen Fahnenträger auf dem Filmplakat handeln könnte, begann seine Laufbahn mit Musikvideos und Werbefotos. Für den Clip zum Hit “Du trägst keine Liebe in dir” der Flensburger Band “Echt” erhielt er 2000 einen “Echo”. Über die SPD spricht er mittlerweile in der Wir-Form.

Eingetreten ist er, um mit Hilfe der Mitgliederbefragung die GroKo zu verhindern. Auch sein Film lässt erahnen, wo er sich politisch innerhalb der Partei verortet. Der innerparteiliche Meinungsbildungsprozess, die Diskussionen, von denen im Film so häufig die Rede ist, werden hingegen nicht gezeigt. Stattdessen formieren sich die Aufnahmen zur Plattform für Statements und Einschätzungen, die alle in eine ähnliche politische Richtung deuten, so divers die Gruppe sonst auch ist. “Im Grundsatz”, heißt es an einer Stelle, “sind wir da, glaube ich, alle einig.” Exakt das vermittelt der Film.

Es fehlt an Dramaturgie, erzählerischer Kraft und Kunstsinn, nicht an einer klaren Botschaft. Die spröden, durch Rotblenden miteinander verknüpften Impressionen aus dem politischen Alltag und dem antifaschistischen Kampf an der (Juso-)Basis kumulieren sich zu der von einer Jungsozialistin formulierten “Hoffnung”, dass es “mit der Partei in eine andere Richtung gehen könnte.”

Tatsächlich also ist “Unten – im Ortsverein” mehr als bloß ein Werbefilm für die SPD. Bemerkenswert häufig beklagen die Mitwirkenden den wenig ruhmreichen Ist-Zustand ihrer geschichtsträchtigen Partei. Kaum einer, kaum eine der Jusos prahlt im Freundeskreis damit, SPD-Mitglied zu sein.

“Unten – im Ortsverein” scheint daher in erster Linie als Werbefilm für den linken Flügel innerhalb der SPD konzipiert und dafür, dass sich die Partei ihrer sozialistischen, proletarischen Tradition wieder verstärkt besinnen möge. In diesem Kontext ist dann auch das von einem älteren Genossen wiedergegebene Willy-Brandt-Zitat, mit dem der Film endet, sehr wohl als werbender Appell zu verstehen: “Man muss bei der SPD nicht mit Austritt drohen, sondern mit Eintritt.”