BIELEFELD-BETHEL – Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Annette Kurschus, hat eine positive Bilanz des Reformationsjubiläums gezogen. Das Jahr „hat uns vor allem gut getan“, sagte Kurschus in ihrem mündlichen Bericht vor der Landessynode der EKvW. Bei der Aufgabe, Christi Spuren in der Welt lesbar zu machen, sieht die Präses alle Gläubigen in der Verantwortung.
Das Entscheidende des Reformationsjubiläums habe sich weniger in den großen Festakten als vielmehr in den vielfältigen Angeboten in Kirchengemeinden und Kirchenkreisen abgespielt, so Kurschus. Dabei seien „neue Kontaktflächen an den Rändern von Kirche“ entstanden.
Der von verschiedener Seite geübten Kritik an der evangelischen Selbstbespiegelung stellte die Präses die Beobachtung entgegen: „Wir sind gefragter, als wir selbst dachten. Unser Glaube interessiert mehr Menschen, als wir selbst zu hoffen wagten.“
„Wir sind gefragter, als wir selbst dachten“
Kurschus betonte die ökumenische Dimension der Jubiläumsfeierlichkeiten, die „durchweg auf Gemeinschaft und Versöhnung“ gezielt hätten. Aussagen zu weiteren konkreten Schritten der Annäherung machte die Präses jedoch nicht.
In gesellschaftlichen Streitfragen fordert Kurschus in ihrem Bericht eine neue Gesprächskultur. „Oft genug findet in unserer Gesellschaft ein echter Meinungsaustausch nur da statt, wo man sich ohnehin einig ist“, sagte die leitende Theologin. Es sei aber die Chance und die Aufgabe politischer und zivilgesellschaftlicher Debatten, „aus Feinden Leute zu machen, die miteinander reden und einander zuhören statt einander zu bekämpfen, zu beschimpfen oder zu beschweigen“.
Vielleicht müsse der Umgang mit Streit und Konflikten ganz neu gelernt werden, sagte die 54-jährige Theologin. Vor allem an Fragen der Zuwanderung scheiden sich nach Kurschus‘ Worten nach wie vor die Geister: „Mit diesen Fragen werden Wahlen gewonnen und verloren, ihretwegen können Regierungsbildungen scheitern, und wenn sie gelingen sollten, dann werden sie es trotz dieser Fragen tun.“ Beim Thema Migration bündelten sich schon lange bestehende soziale Verwerfungen und Risse, Ängste und Unzufriedenheiten sowie Identitätsfragen.
Kritisch setzte sich Kurschus mit der Frage nach zu großer Nähe der evangelischen Kirche zur Politik auseinander. Religion und Glaube dürften nicht zu sozialem Kitt oder als Harmonieagentur verkürzt werden, sagte sie. Hellhörig sollte die Kirche erst recht werden, „wenn die identitätsstiftende Kraft der christlichen Tradition zum Bau von Grenzzäunen in Köpfen und Herzen benutzt wird und wenn man sie zur Definition von gesellschaftlichen Ausschlusskriterien missbraucht“, so Kurschus unter Hinweis auf den Rechtspopulismus. Kirche sei keine Wertelieferantin, sondern dem Evangelium Gottes verpflichtet, der „immer auch fremd und anders und unbequem“ sei. Glaubwürdig und gesellschaftlich relevant sei das Evangelium besonders da, „wo es in seiner gegenkulturellen und kritischen Kraft wahrgenommen und ernst genommen wird“.