Die Büchse der Pandora sei geöffnet worden, sagt Binali Yildirim. Damit beschreibt der türkische Ministerpräsident die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und entsprechend die amerikanische Botschaft von Tel Aviv dorthin zu verlegen. Im Klartext heißt das: Die Türkei, die sich traditionell als Schutzmacht der Palästinenser versteht, sieht Krieg, Gewalt und Terror in nie gekanntem Ausmaß auf den Nahen Osten zukommen.
Glücklicherweise hat sich das bislang nicht bewahrheitet. Die Lage im Heiligen Land bleibt angesichts der Umstände erstaunlich stabil. Zwar kommt es zu Gewaltausbrüchen, aber längst nicht in dem Maße, wie befürchtet (Seite 10). Gott sei Dank. Trotzdem ist die Entscheidung aus Washington falsch: eine völlig unnötige Provokation. Gefährlich und ein Hindernis auf dem Weg, eine Lösung zu finden, die beiden Seiten – Israel und Palästinensern – gerecht wird und wenigstens ansatzweise die Hoffnung auf Frieden aufrechterhält.
Die Äußerung Yildirims zeigt, wie groß das Entsetzen über die amerikanische Aktion ist. Und zwar weltweit und lagerübergreifend. Längst nicht nur arabische Staaten und deren Verbündete schreien auf. Auch die christlichen Kirchen – mit Ausnahme der konservativen in den USA – verurteilen diesen Schritt aufs Schärfste (Seiten 4 und 10).
Sicher, man könnte zynisch sein und sagen: Trump ist wenigstens ehrlich. Er hat das umgesetzt, was er seinen Wählerinnen und Wählern versprochen hat. Und damit öffentlich Farbe bekannt zu dem, was ohnehin schon seit Jahrzehnten tendenziell die Stimmung in den USA war.
Aber: Es gibt einen Unterschied zwischen Fakten und Psychologie. Nicht nur, aber gerade in der Diplomatie. Mögen auch schon bislang die amerikanischen Präsidenten klar an der Seite Israels gestanden haben – bislang haben sie sich immer noch als Vermittler im Nahost-Konflikt verstanden: Wenn es in den vergangenen Jahrzehnten mal einen Ansatz zu einer Lösung gab, ging er meist von den Vereinigten Staaten aus.
Das dürfte jetzt hinfällig sein. Der Streit um die Stadt Jerusalem ist eine der kniffligsten Fragen der Weltpolitik, brandgefährlich seit Generationen; eine schwelende Glut. Jetzt hat Donald Trump nichts anderes getan, als Brandbeschleuniger darauf zu kippen. Wollen wir hoffen und beten, dass die Flammen nicht zu hoch schlagen oder es gar zu einer Explosion kommt. Die nächsten Tage, die Weihnachtszeit – sie werden es zeigen.