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“Und so werde ich vergessen”

„Ich bin nicht bekannt genug geworden, und so werde ich vergessen.“ Mit dieser Einschätzung lag Elsa Freytag-Loringhoven (1874-1925) richtig – zunächst zumindest. Hundert Jahre nach ihrem Tod könnte sich diese Feststellung relativieren, die sie in einem Brief an ihre Freundin, die Schriftstellerin Djuna Barnes, machte. Denn nun ist die Künstlerin eine der Protagonistinnen einer Ausstellung über die Frauen des Dadaismus, die seit Sonntag im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zu sehen ist.

Unter dem Titel „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ sind nach den Worten von Museumsdirektorin und Kuratorin Julia Wallner erstmals Werke von Dada-Frauen gleichberechtigt neben denen ihrer männlichen Kollegen in einer großen Überblicksschau zu sehen. Die Ausstellung beschäftige sich mit der bislang vernachlässigten Bedeutung der Frauen im Dadaismus.

Präsentiert werden rund 200 Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien und Filme sowie Archivmaterial. Neben Werken bekannterer Künstlerinnen wie Hannah Höch, Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp werden Arbeiten von Frauen gezeigt, die in der Kunstgeschichtsschreibung bislang kaum auftauchen. Dazu gehören neben Freytag-Loringhoven zum Beispiel auch Angelika Hoerle, Suzanne Duchamp – Schwester des berühmten Marcel Duchamp – oder die Kölnerin Marta Hegemann. Zu sehen sind außerdem Werke bekannter männlicher Dadaisten wie Hans Richter, Marcel Duchamp, Raoul Hausmann, Max Ernst und natürlich des Hauspatrons Hans Arp.

Freytag-Loringhovens Schicksal steht exemplarisch für die mangelnde Anerkennung der Künstlerinnen der Avantgarde. Die Malerin, Bildhauerin, Dichterin und Performance-Künstlerin gehörte zu den prägenden Figuren der New Yorker Keimzelle der Dada-Bewegung. Die deutsche Künstlerin, die ab 1913 in New York lebte, war zu ihrer Zeit als „Baroness“ bekannt. Schon früh begann sie, Alltagsgegenstände für ihre Kunst zu verwenden. Dabei inszenierte sie sich auch selbst als Kunstwerk, indem sie mit exzentrisch gemusterter, eng anliegender Kleidung sowie Accessoires aus leeren Konservendosen oder Löffeln durch die Straßen lief.

Umstritten ist die These, dass Freytag-Loringhoven sogar die eigentliche Schöpferin von Marcel Duchamps Werk „Fountain“ sein könnte, das als Schlüsselwerk der modernen Kunst und als erstes Ready-made gilt. Es handelt sich um ein Urinal, das Duchamp um 90 Grad gekippt und mit der Signatur „R. Mutt“ versehen 1917 für eine Ausstellung der Society of Independent Artists in New York anonym einreichte. Damit löste er eine Diskussion um den Kunstbegriff aus. Die Debatte um die mögliche Urheberschafts Freytag-Loringhovens machte die niederländische Künstlerin und Dokumentarfilmerin Barbara Visser 2023 zum Ausgangspunkt eines Films über Werk und Leben der Dada-Künstlerin, der nun im Arp Museum zu sehen ist.

Die Ausstellung, die bis zum 12. Januar 2025 läuft, beleuchtet die unterschiedlichen Ausprägungen der Dada-Bewegung in fünf Zentren. Nach der Gründung 1916 im Züricher Avantgarde-Treffpunkt Cabaret Voltaire durch Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Marcel Janco und Hans Arp breiteten sich die Dada-Ideen nach Paris, Berlin, Köln und New York aus. Gemeinsam war den internationalen Dada-Künstlerinnen und Künstlern, dass sie mit absurden, provokativen und anti-traditionellen Kunstwerken die Konventionen der Gesellschaft und Kunstwelt infrage stellten. Trotz unterschiedlicher Ausdrucksformen ziehen sich auch bestimmte Themen wie rote Fäden durch die Werke der Dada-Künstlerinnen und Künstler.

„Es handelte sich um eine Neuschreibung der Kunst“, erklärt Wallner. „Und damit bot Dada Raum für Frauen.“ Ein Schwerpunkt der Dada-Kunst ist die Bedeutung von Geschlecht, Rollenbildern und Sexualität in der Dada-Bewegung, in der sich sowohl Frauen als auch Männer aus ihren Rollenzuschreibungen lösten. So fotografierte Man Ray etwa Elsa von Freytag-Loringhoven in maskuliner Kleidung, während sich Marcel Duchamp von ihm mit Perücke und Collier als „Rrose Sélavy“ ablichten ließ.

Flankiert werden die dadaistischen Werke in der Ausstellung von Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Zu erleben sind neben dem Film von Barbara Visser eine Klanginstallation von Susan Philipsz, von Dirk von Lowtzow intonierte Dada-Texte sowie eine Tanzperformance von Brygida Ochaim zur Eröffnung. In der Ausstellung gibt es zudem eine Hörstation mit Gedichten von Freytag-Loringhoven und einem Original-Interview der Künstlerin Hannah Höch (1889-1978). Eine Bühne lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich selbst als dadaistische Performer zu versuchen. Dazu stehen nachgeschneiderte Dada-Kostüme bereit.