Die Generation der Babyboomer geht in diesen Jahren in den Ruhestand. Für sehr viele Menschen stellt sich also die Frage: “Was mache ich dann? Wie will ich leben?” Der neue Lebensabschnitt will vorausschauend geplant sein, denn er kann durchaus lange dauern: Die aktuelle Lebenserwartung beträgt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 78,5 Jahren für Männer und 83,2 Jahren für Frauen.
Christine Benz will bei diesen Fragen unterstützen – mit ihrem Ratgeber “How to retire. 18 Wege zu finanzieller Sicherheit und persönlicher Erfüllung nach dem Job”. Sie lebt und arbeitet als Finanzexpertin sowie als Autorin in Chicago. Doch die Fragen, die die Autorin mit verschiedenen Fachleuten besprochen hat, sind auch für ein Lesepublikum in Deutschland von Belang.
Finanzwissenschaftler Finke: Ruhestand aktiv gestalten
Tipp Nummer Eins: Es ist nie zu früh, sich Gedanken um den Ruhestand zu machen. Dieser Ratschlag zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Zeit oder Geld – was ist wichtiger, wenn die Arbeitszeit hinter einem liegt? Beide Aspekte bedingen einander. Denn wie man im Ruhestand leben kann, hängt nicht unwesentlich von den eigenen Finanzen ab. Aber Geld ist nicht alles. Denn was nützt einem ein schönes finanzielles Polster, wenn man sich langweilt und nichts mit sich anzufangen weiß?

Der Finanzwissenschaftler Michael Finke rät, sich rechtzeitig zu überlegen, wie man im Ruhestand leben will. Er hält eher wenig von der Vision, die besonders Finanzdienstleister verkaufen wollen: ein Paar, das glücklich und zufrieden in Liegestühlen am Strand sitzt und in den Sonnenuntergang schaut. So werden auch hierzulande Finanzpläne von Sparkassen und Banken beworben.
Finke sagt, er selbst habe das nur für eine Stunde durchgehalten. Ein wichtiges Kriterium ist für ihn die Frage, ob eine Freizeitbeschäftigung, die zur Routine wird, noch die gleiche Befriedigung bieten kann. Seiner Meinung nach solle man sich gesunde Gewohnheiten schon früh antrainieren – und diese dann mit den großen Plänen verbinden.
Alles versuchen, was Spaß macht im Ruhestand
Der Wirtschaftsjournalist John Clements hat ganz konkrete Vorschläge: “Probieren Sie aus, ob Sie den Ruhestand schrittweise angehen können, anstatt von einem Tag auf den anderen mit der Arbeit aufzuhören”. Oder: “Betrachten Sie den Ruhestand nicht als beschlossene Sache, sondern als eine lange Zeit des Ausprobierens”. Dann könne man all die Aktivitäten ausprobieren, die einem immer schon Spaß gemacht haben – oder an dem Ort viele Monate verbringen, an dem man schon immer einmal wohnen wollte.
Wichtig ist Clements allerdings auch, dass sich Pläne im Laufe der Zeit ändern können. “Und denken Sie nicht, dass das Leben, das Sie mit 62 Jahren führen wollen, dasselbe sein wird, das Sie mit 72, 82 oder 92 führen wollen.”
Ruhestand: Was ist wirklich wichtig?
Die Herausgeberin des Ratgebers, Christine Benz, sagt wiederum, sie habe inzwischen erkannt, wie wichtig Geld für den Ruhestand ist. Noch entscheidender sei jedoch ein tragfähiges Netzwerk von Menschen, denen man etwas bedeutet. Ebenso komme es darauf an, gesunde Gewohnheiten zu pflegen und den Alltag bewusst zu gestalten. Sinn- und freudvolle Aktivitäten gehörten unbedingt dazu. Denn: “Für ein glückliches und zufriedenstellendes Leben im Ruhestand sind diese Dinge wichtiger als ein gut zusammengestelltes Portfolio und eine sorgfältig kalibrierte Ausgebensstrategie.”

Am Ende ihres Buches steht ein Gespräch mit Jordan Grumet, einem Arzt und Podcaster, über das Thema, was Menschen am Lebensende bereuen könnten. Grumet, der auch im Hospiz arbeitet, hat festgestellt: “Wir bedauern nicht, dass wir etwas gewagt haben und gescheitert sind. Wir bedauern nur, nicht den Mut für etwas aufgebracht zu haben.”
Er rät, sich selbst die Frage zu stellen: “Welches Vorhaben, das ich aus Mangel an Zeit, Kraft oder Mut nie umgesetzt habe, würde ich bedauern, wenn ich morgen erfahre, dass ich todkrank bin und nur noch sechs Monate zu leben habe?” Niemand wisse, wann die letzte Stunde schlägt, so der Mediziner. Daher solle man die wirklich wichtigen Dinge nicht aufschieben. Entscheidend sei herauszufinden, was dem eigenen Leben einen Sinn gebe – gerade jetzt.
