Seit knapp drei Monaten ist Mahamat Idriss Deby nun auch gewählter Präsident im Tschad. Schon jetzt sind die Enttäuschungen groß. Es fehlt an Perspektiven und Einheit.
Auf seinem Weg zum offiziell gewählten Präsidenten im Tschad hatte Mahamat Idriss Deby einen holprigen Start. Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse in dem zentralafrikanischen Staat hatten Soldaten Schüsse abgegeben; lokalen Medienberichten zufolge starben mindestens neun Menschen; 60 wurden verletzt.
Anders als in den westlichen Nachbarländern Niger, Burkina Faso und Mali, die weiterhin von Juntas regiert werden, ist mit dem Urnengang und der Amtseinführung nun allerdings die dreijährige “Übergangszeit” vorbei. Im April 2021 war der Vater des neuen Staatschefs, Idriss Deby, unter bis heute nicht öffentlich bekannten Umständen ums Leben gekommen; nach 31 Jahren an der Macht. Mahamat Deby, Sohn und Militär, übernahm.
Dass er nach einer Übergangsphase freie Wahlen akzeptiert und nicht selbst antritt, wurde schnell angezweifelt. “Deby ging es wie seinem Vater um die Legitimierung über Wahlen. Er ist nicht mehr Präsident des Übergangs, sondern gewählter Präsident der Republik, und niemand kann ihm diese Herrschaft mehr streitig machen. Die Grundlage ist gefestigt, dass er weiterhin an der Macht bleibt”, sagt Helga Dickow, Tschad-Expertin und Politikwissenschaftlerin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg.
Dafür hat auch gesorgt, dass es keine nennenswerte Opposition mehr gibt. Einstige Kritiker Idriss Debys schlossen sich zumindest zeitweilig seinem Sohn an. Oppositionspolitiker Yaya Dillo wurde wenige Wochen vor der Wahl erschossen. Bei Protesten gegen eine Verlängerung der Übergangszeit im Oktober 2022, die im Tschad auch als “schwarzer Donnerstag” bekannt sind, starben nach Angaben der nationalen Menschenrechtskommission 128 Menschen. Die tatsächliche Opferzahl könnte weitaus höher liegen.
Denn der Zugang zu hohen politischen Ämtern und somit zur Macht ist überaus lukrativ. Das Land fördert seit 2003 Öl, verfügt außerdem über Rohstoffe wie Gold und Uran. Wer eine einflussreiche Stellung hat, hat beispielsweise Kontakte zu internationalen Investoren, kann sich wichtige Netzwerke aufbauen und ist bei bedeutenden Deals dabei.
Und das auf Kosten der Bevölkerung: Nach Angaben der Weltbank steigt die Zahl jener, die in extremer Armut leben und somit weniger als täglich im Schnitt 2,15 US-Dollar zur Verfügung haben. Waren es im Jahr 2018 noch gut 31 Prozent der Einwohner, gehörten 2023 mehr als 35 Prozent dazu. Der Binnenstaat hat eine Bevölkerung von rund 19 Millionen.
Vom Rohstoffreichtum profitieren sie nicht. Überall mangelt es an Grundversorgung und Infrastruktur, sagt Abderamane Ali Gossoumian vom 2002 gegründeten Komitee für Frieden und Versöhnung, einem Zusammenschluss der Zivilgesellschaft. Trotz der Ölförderung hätten bis heute viele Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser. Nicht nur ländliche Regionen seien betroffen. “Das gilt auch für Abeche, drittgrößte Stadt im Osten des Landes. Wie früher muss die Bevölkerung dort Wasser auf Eselskarren transportieren.”
Gleiches gelte für den Strom, der mitunter monatelang ausfalle. Um zu überbrücken, sind teure Dieselgenerationen nötig. Wer etwas Geld hat, lässt sich im Krankheitsfall im Nachbarland Kamerun behandeln. Die Wohlhabenden fliegen ohnehin nach Europa, etwa nach Frankreich, der einstigen Kolonialmacht.
Neben dem täglichen Überlebenskampf fehlt es nach Einschätzung von Gossoumian auch an einer Vision für das Land sowie an Einheit. Erste Versuche, diese durch die Bildung des Kabinetts herzustellen, seien gescheitert. Daher sei es notwendig, einen Dialog mit politischen Akteuren zu organisieren, damit die nächsten Wahlen für das Parlament sowie Lokalvertretungen friedlicher verlaufen. “Es geht nicht nur darum, dass die Macht vom Vater auf den Sohn übertragen wurde. Es geht um das System, das es seit 30 Jahren gibt und mafiöse Strukturen hat.”
Wenn Wahlen wenig ändern, wird häufig die Zivilgesellschaft in die Verantwortung genommen. Vor allem seit dem Arabischen Frühling werden Proteste aufmerksam beobachtet. Tatsächlich wird gerade in mehreren Ländern des Kontinents gegen die alten Eliten protestiert. Helga Dickow sagt jedoch: “Wir überfrachten die Zivilgesellschaft: Wo die Staaten scheitern und die internationale Gemeinschaft, kann die Zivilgesellschaft das nicht auffangen.” Sie bewundere den großen Mut der Menschen. “Wir sollten aber nicht glauben, dass ein Regimewechsel von der Zivilgesellschaft ausgeht.”