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„Toleranz ist eine heilsame Zumutung“

Das interreligiöse Gespräch rutsche noch vielfach in „Rechthaberei“ ab, stellt Bischof Markus Dröge fest. Er wünscht sich eine Gesprächskultur, in der es bei gegenseitiger Akzeptanz auch möglich ist, sachliche Kritik zu äußern.

Von Amet Bick

Das folgende Interview mit Amet Bick ist ein Auszug aus dem neuen Buch „Unterwegs zur Versöhnung. Im Gespräch mit Markus Dröge“, das jetzt im Wichern-Verlag erschienen ist.Bischof Dröge, warum hat Gott sich den Muslimen und den Juden nicht genauso offenbart wie den Christen? Da fragen Sie mich etwas, das ich nur beantworten könnte, wenn ich Gott selbst ins Herz oder in den Verstand hineinschauen könnte. Aber ich will eine Antwort versuchen. Es ist eine Tatsache, dass es unterschiedliche Gottesvorstellungen in dieser Welt gibt. Vielleicht ist es so wie mit der babylonischen Sprachverwirrung. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel in 1. Mose 11 erzählt, dass die Menschen ursprünglich eine Sprache hatten. Durch ihren Hochmut kam dann aber die Sprachverwirrung in die Welt. Vielleicht müssen wir inzwischen auch von einer babylonischen Glaubensverwirrung sprechen. Eigentlich sollten die Menschen sich untereinander in der Art, wie sie glauben, verstehen. Ihr Hochmut bewirkt aber, dass sie die eigene Glaubenserkenntnis dazu benutzen, andere herabzuwürdigen. Daraus ist in der Geschichte der Menschheit entsetzliches Unheil entstanden. Die Sprachverwirrung findet im Neuen Testament ein Happy End. Es wird in der Apostelgeschichte erzählt, wie Gott zu Pfingsten den Heiligen Geist sendet und wieder ein neues Verstehen schenkt, trotz vielerlei unterschiedlicher Sprachen. Ich glaube deshalb, dass wir auch ein Pfingsten für die Religionen brauchen. Wir müssen um den Heiligen Geist bitten, der uns lehrt, uns trotz verschiedener Religionen zu achten und zu verstehen. Überall, wo das passiert, kann ein spannender Prozess der Friedenssuche zwischen den Kulturen und Religionen beginnen. Warum hat Gott diese „Glaubensverwirrung“ und das Unheil, das so häufig daraus folgt, zugelassen? Ich weiß es nicht, aber wenn Sie mich zum Spekulieren verführen, dann würde ich sagen: Gott kann nur Ziele haben, die dem Frieden dienen. Lernen, Frieden zu schaffen, ist eine Aufgabe für die Menschen, die aus den verschiedenen Gottesvorstellungen erwächst?Allerdings! Sie sollen lernen, einander zu achten. Sie sollen ihre eigene Gotteserkenntnis nicht verabsolutieren, um andere Gotteserkenntnis ins Unrecht zu setzen. Im Protestantismus gibt es aktuell den starken Impuls, mehr Profil zu zeigen, also nicht vor lauter Toleranz gegenüber Andersgläubigen den eigenen Glauben beliebig werden zu lassen. Profil zeigen bedeutet dann eher, Grenzen zu ziehen und selbstbewusst zu sagen: Wir sind im Besitz der Wahrheit.Da bin ich anderer Meinung. Profil zeigen sollte für Christen heißen: Ich richte mich nach dem Profil Jesu von Nazareth aus. Er hat sich in erster Linie den Menschen zugewandt, hat ihnen zugehört, gefragt: Welche Probleme hat dieser Mensch? Wo wird ihm Unrecht getan? Jesus hat immer das Gespräch gesucht. Wenn das unser Profil ist, dann dienen wir dem Frieden und werden nicht Streit zwischen den Menschen säen. Menschenliebe ist demnach wichtiger als Rechthaben?Menschenliebe ist die Grundbotschaft des christlichen Glaubensverständnisses. Rechthaben kann ich bei Dingen, die ich beweisen oder die ich widerlegen kann. Aber in Glaubensfragen kann ich nur bezeugen, wovon ich überzeugt bin. Im Johannesevangelium steht das Jesus-Wort: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Das Christentum ging lange davon aus, die einzige wahre Religion zu sein. Ist dieser Absolutheitsanspruch in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts obsolet geworden?Diese Art des Absolutheitsanspruches war immer schon obsolet. Ich gehe davon aus, dass Menschen im Dialog die Wahrheit suchen sollen, und das setzt geradezu voraus, dass jede und jeder auch die eigene Glaubensüberzeugung profiliert einbringt. Wer als Mensch seine eigene Überzeugung mit einem Absolutheitsanspruch vertritt, hat seine Rolle vor Gott und vor den Mitmenschen nicht richtig bedacht. Er tut etwas, das die Grundbedingungen seiner Existenz überschreitet. Die absolute Wahrheit kennt Gott allein. Dennoch kann es nicht darum gehen, in irgendeiner Weise relativistisch und gleichgültig zu werden. Es scheint zwar auf den ersten Blick paradox. Doch auch wenn ich behaupten würde, alle Religionen seien gleich, würde ich einen Absolutheitsanspruch vertreten, der mir nicht zusteht. Denn dies würde bedeuten, ich könnte einen Standpunkt einnehmen, der sich über allen Religionen befindet und von dem aus ich urteilen könnte, dass alle Religionen gleichwertig seien. Ich kann nur überzeugt sein von meinem eigenen Glauben, aber ich kann nicht behaupten, dass er der einzig wahre ist, denn ich lebe in einer noch nicht vollendeten Welt mit einer noch nicht vollendeten menschlichen Erkenntnis.

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Das komplette Buch „Unterwegs zur Versöhnung. Im Gespräch mit Markus Dröge“ ist im Buchhandel erhältlich, kann aber auch direkt hier bestellt werden.