Der Unmut bei Reinhard Schramm hat sich lange angestaut. Am Rande einer Pressekonferenz am Mittwoch brach es dann aus dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen heraus. Das Leid der Bevölkerung in Israel, Gaza und Teheran in diesem Krieg sei entsetzlich, sagte Schramm: „Die Juden in Israel leben seit 15 Jahren in Angst vor iranischen Atomwaffen.“
Tatsächlich propagiert der Iran seit Jahren offen die Vernichtung des jüdischen Staates. Schramm forderte, es müsse Israel doch erlaubt sein, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Und auch Erfurts katholischer Bischof Ulrich Neymeyr habe ihm geschrieben, er stehe weiter an der Seite der Landesgemeinde und verurteile den immer stärker werdenden israelbezogenen Antisemitismus.
Unzufrieden ist Schramm dagegen über manche Beiträge aus Teilen der evangelischen Kirche. So etwa ein geistlicher Impuls des Eisenacher Pfarrers Ralf-Uwe Beck im MDR-Hörfunk vom 16. Juni. Beck wertete darin die Reaktion Israels auf „das unglaublich brutale Massaker der Hamas am 7. Oktober“ als „Völkermord“. Er leitete diese Einschätzung aus den „Vertreibungen, den andauernden Bombardierungen und dem programmierten Hunger“ gegen die palästinensische Bevölkerung ab. Antisemitismus sei das nicht, sagte Beck: „Geht es gegen Juden, bin ich bei den Juden. Geht es gegen Muslime, bin ich bei den Muslimen.“
Der Beitrag sei „ohne weiteren Kontext“ im Programm gesendet worden, kritisierte anschließend ein Hörer in einer Zuschrift an Schramm. Es sei bedenklich, wenn hier seitens der evangelischen Redaktion von Völkermord gesprochen werde. Die Wirkung des einseitigen Beitrags könne Antisemitismus verstärken.
Unter den Jüdinnen und Juden in Thüringen sorgte zudem eine Diskussionsveranstaltung in den Räumen der Evangelischen Studierendengemeinde am 12. Juni für Entsetzen. Das Universitätsklinikum hatte kurz zuvor eine Raumzusage für die Veranstaltung zurückgezogen.
Der Referent Qassem Massri war im April 2024 als Mediziner in Gaza. Er berichtete demnach über „genozidale Zerstörungen des Gesundheitssystems in Gaza“. Sein Vortrag war voller Vorwürfe gegenüber Israel als Kriegspartei.
Als Aktivist wolle er „Wut hervorrufen, die als Motor auf eine Veränderung des Status Quo in Gaza hinwirken könnte“, sagte Massri. Hinweise aus dem Publikum, dass der gegenwärtige Krieg durch den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, nannte er einen Mythos. Die rassistische Unterdrückung seines Volkes habe vor 75 Jahren mit der Vertreibung der Palästinenser begonnen.
Schramm schrieb daraufhin den Mitgliedern der Landesgemeinde: „Uns geht allmählich die Kraft aus. Wir bemühen uns in Gesprächen zu reagieren, mit der Presse über unsere Haltung zu sprechen. Es tut weh, wir haben uns in unserem Deutschland eigentlich aufgrund unserer Arbeit und unserer ehrenamtlichen Tätigkeit seit Jahrzehnten nichts vorzuwerfen.“
Ihn zermürbten auch die seit drei Jahren rasant gewachsenen Bedrohungen, Anwürfen und Gewalttaten gegenüber Juden in Deutschland. Dass die Studierendengemeinde den Raum zur Verfügung gestellt habe, obwohl die Universität ihre Zusage zuvor zurückzog, hätte sie nachdenklich machen sollen.
Ein mögliches Fehlverhalten wird von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) bestritten. Landesbischof Friedrich Kramer sagt dazu, dass die Mietanfrage für den Raum vom Zentrum für Versöhnungsforschung an der Uni Jena gekommen sei. Das Zentrum wird von dem evangelischen Theologieprofessor Martin Leiner geleitet.
Eine Abkehr von der grundsätzlich klaren Haltung der evangelischen Kirche zur Jüdischen Landesgemeinde sieht Kramer weiterhin nicht. „Mir ist es persönlich sehr wichtig, Ihnen dies mitzuteilen“, schieb Kramer in einem persönlichen Brief an Schramm. „Die extremen Belastungen, denen Sie seit dem 7. Oktober ausgesetzt sind, bedrücken mich tief und ich sehe es wie Sie, dass wir alle gegen diese Flut des Antisemitismus gefordert sind. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.“