Die Liebe zum Meer war dem Literatur-Nobelpreisträger und gebürtigen Lübecker Thomas Mann (1875-1955) quasi in die Wiege gelegt: Schon seine Mutter Julia verbrachte ihre Kindheit zunächst an der brasilianischen Costa Verde und später an der kühlen Ostsee. Ihr Leben lang hatte sie eine enge Bindung zur See, die sie offenbar auf ihren zweitältesten Sohn übertrug.
„Das Wohnen mit dem Blick auf das Wasser, es war eine entscheidende Voraussetzung für Thomas Mann zum Leben und zum Schreiben. Ohne den Blick aufs Meer gab es kein Werk“, erklärte der Präsident der Thomas Mann Gesellschaft, Hans Wißkirchen, in seinem Essay „Thomas und Katia Mann“.
Kein Wunder also, dass sowohl das ruhige als auch das tobende Meer immer wieder eine große Rolle in Manns Literatur spielt. In seinem Roman „Buddenbrooks“ (1901) ist der kleine Hanno Buddenbrook nur zufrieden in Travemünde. Thomas Mann erinnerte das Ostseebad an unbeschwerte Kindheitstage: „So glücklich bin ich im späteren Leben nie wieder gewesen wie hier während der Ferien an der See“, sagte er 1953 bei einem Spaziergang durch Travemünde.
1929 bauten sich die Manns ein Haus im litauischen Nidden zwischen Haff und Ostsee, einer Idylle, die sich zur Künstlerkolonie entwickelte. Als Thomas Mann 1942 zu Zeiten des NS-Regimes ins kalifornische Exil ging, lebte er mit seiner Familie zehn Jahre lang in einem Haus in Pacific Palisades/Los Angeles am Pazifik. Anschließend zog er in die Schweiz, verbrachte aber immer wieder Zeit am Meer. „Urlaub – das war bis ans Ende seines Lebens ein Aufenthalt an der See! Und wurde mit dieser Gewohnheit mal gebrochen, meldete sich alsbald die ewige Sehnsucht“, schrieb Wißkirchen.
Die See spiegelt in Manns Werken oft die Lebenskrisen seiner Protagonisten. Wie etwa in der Novelle „Tonio Kröger“ (1903), in der Tonio mit dem Schiff nach Dänemark reist und sich auf den schaukelnden Wellen an seine Jugend erinnert. In einem heftigen Sturm ist er plötzlich dem Meer als Naturgewalt ausgeliefert. „Es sind also beide Bilder vom Meer, das trauliche und das grausige, die nebeneinander existieren und im Wechsel aufgerufen werden“, so Wißkirchens Analyse. Eine Venedigreise im Jahr 1911 inspirierte Mann zu seiner Novelle „Tod in Venedig“, in der das Meer ein zentrales Leitmotiv ist.