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Theologe: Reliquienverehrung ist aus der Zeit gefallen

Für anachronistisch hält der katholische Theologe Oliver Wintzek die Verehrung menschlicher Überreste. Menschen mit kritisch aufgeklärtem Geist mute diese Verehrung seltsam oder auch makaber an.

Herzreliquie des Cyberapostels Carlo Acutis zieht Gläubige und Touristen zur Heilig-Geist-Kirche in München (Archivbild)
Herzreliquie des Cyberapostels Carlo Acutis zieht Gläubige und Touristen zur Heilig-Geist-Kirche in München (Archivbild)Imago / Wolfgang Maria Weber

Der katholische Theologe Oliver Wintzek hält die Verehrung menschlicher Überreste als Reliquien für anachronistisch. Dass derzeit ein Teil des Herzens des sogenannten Internet-Apostels Carlo Acutis durch Deutschland toure, scheine doch sehr aus der Zeit gefallen und auch makaber, sagte Wintzek dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe Menschen, die das anspreche und die sich davon emotional berühren ließen. Aber für Menschen mit kritisch aufgeklärtem Geist mute diese Verehrung seltsam an. Man müsse unterscheiden zwischen der Verehrung von Heiligen als inspirierende Vorbilder und der Verehrung von Reliquien.

Herzreliquie von “Internet-Apostel” tourt durch Deutschland

Anfang Juli hatte der Vatikan bekannt gegeben, dass der 2006 im Alter von 15 Jahren gestorbene Italiener Carlo Acutis heiliggesprochen wird. Acutis, der an Leukämie starb, ist der Erste aus der Generation der „Millennials“, der heiliggesprochen wird. Derzeit organisiert die Gruppe „Freunde Carlo Acutis“ eine Reise der Herzreliquie des Teenagers durch Deutschland. Am Donnerstagabend sollte ein Gottesdienst mit der Reliquie in Hamburg mit Erzbischof Stefan Heße stattfinden, zuvor machte die Reliquie im Kölner Dom und in München Station.

Der im Alter von 15 Jahren gestorbene Italiener Carlo Acutis wurde als erster "Millennial" heiliggesprochen
Der im Alter von 15 Jahren gestorbene Italiener Carlo Acutis wurde als erster "Millennial" heiliggesprochenImago / Independent Photo Agency Int.

Diese Form der Verehrung sei eine ganz eigenwillige Mischung aus modern und anti-modern, sagte Wintzek, der Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz ist. Modern daran sei die Aufmachung und das Marketing für den „Turnschuh-und-Jogginghosen-Heiligen“. Eine Art Reliquienkult gebe es ja auch im Sport oder in der Popkultur etwa im Hinblick auf Devotionalien von Stars wie Taylor Swift.

Frömmigkeit aus den “guten alten Zeiten”

Aber, so Wintzek, „die Postmoderne inszeniert hier unter hippen Gewand etwas Reaktionäres“. „Es geht um eine Frömmigkeit, die an eine vermeintlich gute Zeit des Katholischen, wo noch alles klar und geregelt war, andocken möchte.“ Hier werde hinter den Kulissen die Debatte ausgetragen, welche Form des Katholischen heute gelebt werden solle. Denn bei den gegenwärtigen Reformdebatten in der katholischen Kirche etwa über die Rolle von Frauen, die Haltung zu Homosexuellen oder den Zölibat werde oft vonseiten der Reformskeptiker eine sogenannte Neuevangelisierung angemahnt.

„Statt wirklich über strukturelle Veränderungen in der Kirche zu sprechen, heißt es nur, stellt den Glauben an Christus wieder ins Zentrum“, sagte der Theologe. „Bei diesen Neuevangelisierungstendenzen, sollen die Reformforderungen struktureller und inhaltlicher Art weg spiritualisiert werden. Doch ohne Reform hängt die Neuevangelisierung in der Luft.“