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Telefonseelsorge beklagt rauen Ton anrufender Menschen

Ehrenamtlich helfen und sich dabei beschimpfen lassen? Für Telefonseelsorgende ist das längst nichts Ungewöhnliches mehr. „Manchmal reicht eine kleine Nachfrage am Telefon, um eine Welle von Beschimpfungen auszulösen“, sagt Pastorin Mareile Rösner, Leiterin der Telefonseelsorge der Diakonie Hamburg, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ähnlich sieht es im evangelischen Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg aus: Der Leiter der Telefonseelsorge in Lübeck, Pastor Frank Gottschalk, spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung, dortige Telefonseelsorgende registrierten „vermehrt Anrufe, bei denen unsere Ehrenamtlichen mit Aggression und Provokation konfrontiert werden“.

„Wir beobachten, dass starke Gefühle wie Kränkung, Wut oder Scham gegenüber unseren Seelsorgenden immer schwerer kommuniziert werden“, sagt Mareile Rösner. „Die Reizschwelle der Menschen ist gesunken, Wut wird ungefiltert rausgelassen.“ Manche Anrufenden würden auch einfach mitten im Gespräch auflegen.

Wer bei der Telefonseelsorge anruft, kann dies anonym tun. Das Problem: „Manche Menschen missbrauchen die Anonymität, um ihren Frust abzubauen und unsere Mitarbeitenden zu beschimpfen“, sagt Frank Gottschalk. Laut dem Pastor spiegelt die Entwicklung eine allgemein raue Stimmung in der Gesellschaft wider. „Das Klima ist unversöhnlicher geworden, die Wortwahl schärfer, der Ton rüder. Das erleben wir nicht nur bei der Telefonseelsorge, sondern auch im Alltag.“

Komplett neu ist das Problem am Seelsorge-Telefon nicht. „Es gab immer schon vereinzelt Telefonate mit grenzüberschreitendem Verhalten von Anrufenden“, sagt Pastorin Rösner. Seitdem sich jedoch Krisensituationen in der Welt häuften – „Kriege, wirtschaftlich schwierige Zeiten, die Pandemie“ – hätten derartige Situationen in Telefonaten „deutlich zugenommen – wie auch die Anzahl der Anrufenden“.

Auch Pastor Gottschalk sieht in der Corona-Pandemie und anderen Krisen Ursachen. „Die Pandemie war für viele Menschen eine Phase des Kontrollverlusts.“ Angst und Hilflosigkeit hätten sich dabei in Wut und Aggression verwandelt. „Das wirkt bis heute nach – nicht nur im persönlichen Bereich, sondern auch gesellschaftlich und politisch.“ Die aktuellen multiplen Krisen verschärften die Situation. „Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt, Klimawandel, wirtschaftliche Unsicherheit – viele Menschen sind überfordert“, sagt Gottschalk. Wenn die Belastung zu groß werde, schlage sie oft in Aggression um. Gleichzeitig wachse die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, die es in einer so komplexen Welt jedoch nicht gebe.

Rösner glaubt, „dass die Diskussionsbereitschaft in der Gesellschaft insgesamt abnimmt“. In einen konstruktiven Dialog zu treten, falle den Menschen schwer. „Das ist eine Belastung für die Arbeit der Ehrenamtlichen.“ Aufgefangen werde diese „durch gute Ausbildung und regelmäßige Supervision“.

Gottschalk sagt: „Unsere Ehrenamtlichen müssen sich abgrenzen können. Wenn ein Anrufer beleidigend wird, ist es wichtig, klare Grenzen zu setzen und das Gespräch zu beenden.“ Seelsorge bedeute nicht, „sich alles gefallen zu lassen“.

Um langfristig helfen zu können, setze die Telefonseelsorge in Lübeck „auf gegenseitige Wertschätzung und Teamstärkung“, sagt Gottschalk. Er betont: „Nur wenn wir auf uns selbst achten, können wir für andere da sein.“

Die Telefonseelsorgenden sowohl in Hamburg als auch in Lübeck sind 24 Stunden täglich an allen Tagen im Jahr zu erreichen. Die einheitliche Telefonnummer lautet 0800/111 0 111.