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Tanzen als Befreiung

Ein Diakonie-Projekt in Mülheim an der Ruhr will es Flüchtlingskindern leichter machen, sich zu öffnen und ihren Platz zu finden

Eine fremde Kultur, eine andere Sprache und Bilder von Krieg und Gewalt im Kopf – für Flüchtlingskinder ist es alles andere als einfach, sich mit diesem Ballast, der auf ihren Seelen lastet, in deutsche Schulklassen zu integrieren. Ein Diakonieprojekt in Mülheim an der Ruhr will es ihnen leichter machen, sich zu öffnen und ihren Platz zu finden. Und zwar mit besonderen Tanzworkshops.

Die Schule hat längst wieder begonnen, doch ihr schönstes Ferienerlebnis haben die acht Flüchtlingskinder aus Serbien, Albanien, Syrien und Nigeria nicht vergessen. „Es war so cool, in dem Schloss zu tanzen. Ich wollte da am liebsten schlafen“, erzählt Adem. Seine Schwester Sanella und ihre Freundin Elif sind sich einig, dass sie im Tanzworkshop ihrer Grundschule, die in einem kleinen Schloss stattfand, eleganter getanzt haben als die Jungen. „Wir tanzen ja auch immer mit unseren Schwestern zu Hause“, betont die siebenjährige Elif. Doch im Schloss habe es viel mehr Platz dafür gegeben. „Außerdem konnten wir draußen im Garten Frösche beobachten“, ergänzt die siebenjährige Sanella.
An einem Wochenende in den Sommerferien hatte das Diakonische Werk im Kirchenkreis An der Ruhr die acht Flüchtlingskinder gemeinsam mit sieben anderen Schülern der Grundschule Mülheim-Styrum zu einem Tanzworkshop ins Schloss Styrum eingeladen. „Viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien haben Schlimmes erlebt, sind sehr schüchtern und auch gehemmt, weil sie die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen“, erzählt Birgit Hirsch-Palepu, Leiterin der Abteilung Soziale Dienste. „Beim Tanzen können sie sich ganz anders ausdrücken und erleben.“ Der schöne Tanzsaal und der Garten des kleinen Schlosses habe ihnen zudem ein Urlaubsgefühl vermittelt. Schließlich seien die Flüchtlingskinder im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden in den Ferien nicht verreist.
In Mülheim ist die Diakonie an insgesamt elf Schulen Träger der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS). Rund 700 Kinder besuchen das Nachmittagsangebot. In Styrum entstand vor elf Jahren die erste OGS. In diesem Stadtteil „mit besonderem Erneuerungsbedarf“ leben viele Migran­ten und Flüchtlinge. „Es ist ein armes Viertel, aber die Bürger haben hier das Herz auf dem rechten Fleck“, meint Hirsch-Palepu. Daher lag es für die Sozialarbeiterin nahe, gerade hier das Tanzprojekt zu starten. „Die Schuldirektorin war auch sofort begeistert, die Eltern ebenfalls.“ Künftig also soll es hier regelmäßig solche Tanzworkshops geben. Doch das Projekt könnte „Schule machen“ und auch an anderen Offenen Ganztagsgrundschulen der Diakonie für Flüchtlingskinder angeboten werden.
Geleitet wurde der zweitägige Workshop von einer Tanzpädagogin, die selbst einen Migrationshintergrund hat. Doch auch Schulkoch Kuruparan Nethirarajah nahm daran teil. Der Koch, den die Kinder alle nur liebevoll „Herr Kuba“ nennen, stammt aus Sri Lanka und kam mit fünf Jahren nach Deutschland. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie die Kinder sich hier fühlen“, betont er.
Viele Jahre hat er sich Geld in einer Tanzschule verdient. Auch heute noch gibt er Tanzkurse in Hip Hop und Breakdance. An der Grundschule Styrum bietet er dazu regelmäßig Workshops in der OGS an.
„Gerade die Jungs können dabei gut ihren Frust ablassen“, sagt er. „Aber sie lernen auch, sich gegenseitig zu stützen und aufeinander zu achten.“ Bei Schulfesten tritt Nethirarajah mit seinen Tanzgruppen auf – und erntet viel Beifall. „Das stärkt das Selbstbewusstsein gerade der Kinder, die es sonst im Leben nicht einfach haben“, sagt er. Für sie ist der „tanzende Koch“ längst zu einer wichtigen Vertrauensperson in der Schule geworden. „Wenn es Streit gibt, kommen die Kinder oft zu mir, damit ich schlichte“, erzählt der Tanzlehrer.
Neben dem Tanzworkshop gibt es auch ein Angebot für die Eltern. Während die Kinder sich zur Musik bewegen, wurde von der Integrationsschule des Diakonischen Werkes ein Sprachkurs veranstaltet. Das Interesse daran sei riesengroß, erzählt Birgit Hirsch-Palepu. Schon seit 2007 ist die Diakonie in Mülheim anerkannter Integrationskursträger. Die Sprachkurse sind sehr gut besucht, zumal die Diakonie dazu auch eine Kinderbetreuung organisiert.
„In der Flüchtlingsarbeit sind wir in unserer Stadt gut aufgestellt“, sagt Birgit Hirsch-Palepu stolz. Diakonie, Kirche, Stadt, Bürgerinnen und  und Bürger engagieren sich nach Meinung der Sozialarbeiterin vorbildlich für die rund 1200 Flüchtlinge, die Mülheim mittlerweile aufgenommen hat.
Mit dabei ist auch die Stiftung „Jugend mit Zukunft“ des Kirchenkreises, die die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien unterstützt. Sie finanziert auch das Tanzprojekt für Flüchtlingskinder und den Sprachkurs für die Eltern. „Viele Menschen im Ruhrgebiet haben selbst eine Fluchtgeschichte“, betont Stiftungsvorstand Frank Kastrup. „Deshalb heißen die meisten Bürger unserer Stadt die Flüchtlinge willkommen.“