Artikel teilen:

Stummfilme werden hier gehörgängig verorgelt

Der Pianist Stephan Graf von Bothmer begeistert mit seinen Stummfilm-Livekonzerten ein breites Publikum. Im Reformationsjubiläumsjahr interpretiert er mit einer Eigenkomposition den neu restaurierten Historienfilm „Luther“ aus dem Jahr 1927

Für Stephan von Bothmer sind Stummfilme keine verstaubten Nischenprodukte, deren Existenz man als historisches Dokument distanziert bestaunt. Er will Zuschauer in diese Filme reinziehen, emotional berühren. „Museum kann man woanders haben. Das bin nicht ich“, sagt er.
Seit 2004 entwickelte der 45-jährige Pianist und Komponist, der an der Universität der Künste in ­Berlin ausgebildet wurde, mit zahlreichen Stummfilmkonzerten seine eigene Marke als Organisator, Veranstalter und Künstler in Personalunion. Und klotzte ran: Allein 65 Auftritte pro Jahr in Berlin, 120 insgesamt mit Konzerten bundesweit an Stadttheatern habe er in seiner „goldenen Zeit“ absolviert. „Ich habe als nicht geförderter Einzelkämpfer das Stummfilm-Publikum in Berlin verzehnfacht. Aber das war wirklich anstrengend.“
Ohne Umschweife gibt er jedoch auch zu, dass manche seinen Stil nicht mögen und ihn für ein „kommerzielles Arschloch“ halten. Vertreter der reinen Lehre scheint es auch unter Stummfilmliebhabern zu geben. Aber von Bothmer ist von seinem Konzept überzeugt. „Die Leute schalten an der Stelle ab, wo das Wort Stummfilm kommt. Daher muss man es möglichst spät bringen“, erklärt er. „Konzert und Film sind für mich gleichwertig. Ich muss von der Musik her klarmachen, um was für einen Film es geht. So präsent ich auf der Bühne bin, es dient dem Film.“
Mit Begeisterung spricht er über kniffelige Stellen in Filmen und Kompositionen und packende Live-Momente auf der Bühne. „Ein Impuls reicht aus, ein kleines Thema in Moll beispielsweise, um die Aussage zu vermitteln oder etwas auszulösen. Ich achte auf die Reaktion des Publikums und kann, wenn es unaufmerksam wird, die Ebene ändern.“ Aber es gebe natürlich auch komplett durchkomponierte Stücke.
Seit 2012 hat von Bothmer sein Konzertkonzept weiter verfeinert, zeigt bekannte und unbekannte Filme („Da kommt der Filmenthusiast in mir durch“) und erfolgreich Slapstick wie mit vier Kurzfilmen in der „Stan & Olli Show“. Früher habe er von den Aufführungen des Stummfilmklassikers „Metropolis“ leben können, das sei aber vorbei. „Seit 2008, seit der Wirtschaftskrise, wollen die Leute nur noch Komödien sehen“, sagt von Bothmer. Sein Publikum kommt zum „Gesundlachen“ in diese Veranstaltungen. Oder folgt gebannt seinen virtuosen Fußball-Konzerten an der Orgel beim Pu­blic Viewing zur WM.
Ein Highlight in diesem Jahr des Reformationsjubiläums ist die Aufführung von „Luther“, einem vom Bundesarchiv-Filmarchiv restaurierten Biopic über den Reformator aus dem Jahr 1927. Drehbuchautor Hans Kyser, der unter anderem an Friedrich Wilhelm Murnaus „Faust“ (1926) in dieser Funktion beteiligt war, führte hier erstmals auch Regie. Es sei ein faszinierendes historisches Dokument, das versuche, die Lebensstationen Luthers im Spielfilm darzustellen, sagt von Bothmer, und sei weder Propaganda- noch Verkündigungsfilm. Der Film meine zwar, Luther als deutschen Helden feiern zu müssen, aber das „Deutschtümelnde werde ich musikalisch entlarven“.

Konzerttermine: 25. Mai, Berlin (Emmauskirche – im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 22 Uhr); 4. Juni, Recklinghausen (Ruhrfestspielhaus, 11 Uhr), 22. Juni, Lippstadt (Stadttheater, 20 Uhr); 18. August, Herford (Münsterkirche, noch ohne Uhrzeitangabe); 15. Oktober, Ahlen (Pauluskirche, 18 Uhr); 17. Oktober, Bielefeld (Johanniskirche, noch ohne Uhrzeitangabe).

Weitere Informationen und Termine unter www.stummfilmkonzerte.de.