Jeder soll als Organspender gelten, wenn er nicht widerspricht. Doch eine solche vom Bundesrat geforderte Regelung sorgt nicht unbedingt für mehr verfügbare Organe. Wissenschaftler haben einen besonderen Effekt entdeckt.
Mit der sogenannten Widerspruchslösung lässt sich laut Wissenschaftlern nicht zwangsläufig die Zahl der Organspenden erhöhen. Zwar stünden in Ländern mit dieser Regelung nach Todesfällen potenziell mehr Organe zur Verfügung, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Studie unter Beteiligung der Universität Hamburg. Doch gleichzeitig gehe die Zahl der Lebendspenden von Nieren oder Teilen der Leber zurück.
In Deutschland ist eine Organentnahme derzeit nur zulässig, wenn ein Toter zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Um mehr Organspenden zu gewinnen, hatte sich der Bundesrat für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Danach gilt jeder Bürger als Organspender, der dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Im vergangenen Jahr spendeten in Deutschland 953 Menschen nach ihrem Tod 2.854 Organe. Zugleich standen mehr als 8.100 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
Die Business School der Universität Hamburg und die Wirtschaftsuniversität Wien verglichen den Angaben zufolge Daten aus 24 Ländern, darunter 6 Staaten, die von der Zustimmungsoption zur Widerspruchslösung wechselten. Diese verzeichneten einen Rückgang der Lebendspenden im Schnitt um bis zu 29 Prozent. Gleichzeitig seien die Spenden nach Todesfällen nur um durchschnittlich sieben Prozent gestiegen. “Insgesamt standen damit nicht mehr Organe zur Verfügung”, heißt es.
Der Hamburger Professor für Marketing und Medien, Michel Clement, spricht auf Basis der Datenanalyse und Befragungen von mehr als 5.000 Teilnehmenden in Deutschland und Österreich von einem “Verdrängungseffekt”. In Ländern mit Widerspruchslösung, zu denen auch Österreich gehört, empfänden die Menschen das Organangebot als ausreichend und seien daher weniger bereit zu Lebendspenden. Das gelte zwar nicht für Spenden an engste Familienangehörige, aber für sogenannte “altruistische Spenden” an den entfernteren Familienkreis, Bekannte oder Fremde. In Deutschland warteten 2024 fast 6.400 Menschen auf eine Spenderniere.
Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen, bei der Diskussion über die Einführung der Widerspruchsregelung mögliche Verdrängungseffekte zu berücksichtigen. “Auch eine Widerspruchsregelung sollte Teil einer Gesamtstrategie sein, die vor allem auf Aufklärung, Diskussionen und eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema setzt”, so Clement.