Rund und großäugig, hübsches hellrotes Brustgefieder und nur rund 18 Gramm leicht: Das Rotkehlchen ist beliebt und wirkt auf Menschen sympathisch. In Deutschland war es schon zweimal „Vogel des Jahres“, 1992 gewählt vom Naturschutzbund Deutschland und 2021 zum ersten Mal von der Bevölkerung.
Zu der roten Brust des Vogels gibt es auch eine Legende: Maria und Josef waren nicht allein mit Ochs und Esel im Stall. Ein braunes Vögelchen leistete ihnen Gesellschaft. Als sie einnickten und das wärmende Feuer zu verlöschen drohte, fachte der Vogel die Glut mit seinen Flügelschlägen wieder an. Auffliegende Funken trafen seine Brust und färbten sie orangerot.
England: Rotkehlchen sang König ein Weihnachtslied
Die Briten nahmen diese Legende auf, hinzu kamen andere beliebte Geschichten, wie die des Rotkehlchens, das dem König ein Weihnachtslied sang. Und in einer englischen Volkserzählung tröstet das Rotkehlchen den sterbenden Christus am Kreuz mit seinem Gesang.
So wurde das Rotkehlchen Teil der britischen Weihnachtstradition – und des Weihnachtsschmucks. Der Trend hat übergegriffen nach Deutschland, auf Weihnachtskarten und -servietten sind oft Rotkehlchen zu sehen. Mit ihrer roten Brust passen sie gut in weiße Schneelandschaften, zu Tannengrün und zwischen die roten Beeren der Stechpalme – auch das ein britisches Weihnachtsmotiv mit langer Tradition.
Carl von Linné, Begründer der biologischen Systematik, verklärte den Vogel zum niedlich klingenden „Rötchen“. Ein Kuschelvogel? „In der Natur haben Rotkehlchen ihr auffällig gefärbtes Brustgefieder, um während der Brutzeit Rivalen zu vertreiben“, stellt die Ornithologin Lea-Carina Mendel von der Deutschen Wildtier Stiftung klar.
Rotkehlchen galt bei den Griechen als streitbar und zänkisch
Dem griechischen Philosophen und Naturforscher Aristoteles zufolge sind Rotkehlchen streitbar und zänkisch. Deshalb nannte er sie „Erithacos“, nach Eris, der Göttin der Zwietracht. Plinius der Ältere latinisierte den Namen zu Erithacus. Heute lautet der biologische Name des Rotkehlchens Erithacus rubecula, rubecula weist auf die rote Farbe hin.
Gefährdet ist es nicht, in Deutschland brüten etwa 2,8 bis 3,4 Millionen Paare, europaweit mehr als 43 Millionen. Wenn es kalt wird, zieht ein Teil aus Deutschland ans Mittelmeer, aber viele Rotkehlchen sind den Winter über auch in Gärten und Parks zu beobachten. „Solange der Boden nicht zufriert, nicht zu verdichtet ist und die Vögel in der Erde und unter Laubhaufen nach Nahrung suchen können, finden sie in naturnahen Gärten ausreichend Futter“, erklärt Lea-Carina Mendel.
Bei Frost seien sie wie andere Insekten- und Weichfutterfresser auf Beeren tragende Gehölze angewiesen. Oder auf Futterhäuschen: „Am besten, man füllt sie mit getrockneten Mehlwürmern und Fettfutter.“ Rotkehlchen, die in Deutschland im Winter zu sehen sind, kommen oft aus Skandinavien oder dem Baltikum. Eine Art „Magnetkompass“ im rechten Auge zeigt ihnen den Weg beim Vogelzug, wie der Frankfurter Forscher Wolfgang Wiltschko herausgefunden hat.
“Waldrötlein”: Legenden reichen bis in vorchristliche Zeiten
Scheu sind sie nicht, das wissen Hobbygärtner, die den Garten umgraben: Rotkehlchen stürzen sich auf die freigelegten Würmer und Larven, manche fahren sogar auf dem Rasenmäher mit. Dass das Rotkehlchen zur Unterordnung der Singvögel zählt, ist bis in die Nacht hinein zu hören: Perlend und leicht melancholisch klingt sein Gesang, abfallend in der Melodie. Aber das täuscht. Der Gesang, mit dem die Männchen ihr Revier verteidigen, kann sich bis zum Wettkampf und Zweikampf steigern, bei dem die Tiere Federn lassen und gelegentlich auch ihr Leben.
Viele Legenden um das „Waldrötlein“ reichen weit bis in vorchristliche Zeiten zurück. Bei den kontinentalen Germanen galt das Rotkehlchen als Überbringer der Sonne; sie ordneten es ihrem rotbärtigen Gott Donar zu, der über die Blitze gebot. Sonne, Blitzschlag, Feuer – wo dieser heilige Vogel des Lichts nistete, hütete Donar Haus und Hof.
Und die schwedische Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf erzählt in „Das Rotkehlchen“ diese Christuslegende: Der kleine Vogel weint angesichts des Todes Jesu am Kreuz und zieht einen Dorn aus dessen Dornenkrone. Dabei wird seine Brust mit Blutstropfen besprenkelt – und ist fortan rot.