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„Sterben ist hochbedeutsam“

Das erste Museum für Sepulkralkultur öffnete vor 30 Jahren in Kassel

Es ist ein Museum, das sich mit Tod und Vergänglichkeit befasst. Und es hat einen fast unaussprechlichen Namen: Das Museum für Sepulkralkultur wurde vor 30 Jahren in Kassel eröffnet, als bundesweit erstes seiner Art.

Sterben und Tod, Bestattung und Trauer: Es sind keine „schönen“ Themen, die das bald seit 30 Jahren bestehende Museum für Sepulkralkultur in Kassel beackert. Nicht verwunderlich, dass es am 24. Januar 1992 bei seiner Eröffnung das bundesweit – und wohl auch weltweit – erste Museum seiner Art war. Seine Aufgaben sieht es darin, das kulturelle Erbe beim Bestattungs-, Friedhofs- und Denkmalwesen zu erforschen, zu fördern und zu vermitteln. Nicht ohne Grund wurde die Friedhofskultur in Deutschland im März vergangenen Jahres in das „Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen.

Sterbende begleiten, Tote bestatten

Informieren will das Museum über den gesellschaftlichen Konsens, aber auch über „legitime Konflikte“ zum Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Das Museum fußt zunächst auf der im deutschsprachigen Raum gewachsenen Sepulkralkultur (lateinisch sepulcrum: Grab). Objekte aus dem 15. Jahrhundert bis heute zeigen, wie in Deutschland die Sterbenden begleitet, die Toten bestattet und wie ihrer gedacht wurde.

Inzwischen geht das Ausstellungshaus in seiner Themenfindung einen Schritt weiter. Zum Welttag der Suizidprävention eröffnete es im September 2021 eine Schau zum Thema Suizid. Die Ausstellung unter dem flapsigen Titel „Suizid – Let‘s talk about it“ will eine öffentliche Debatte zu Selbsttötung sowie Ursachen und Folgen befördern.

„Suizid und Suizidalität sind allgegenwärtig und doch tabuisiert“, so die Macher der ungewöhnlichen Schau, die bis zum 27. Februar künstlerische, kultur- und sozialgeschichtliche Exponate mit Stimmen Betroffener und aktueller Forschung kombiniert. Etwa 10 000 Menschen sterben demnach pro Jahr in Deutschland durch Suizid – mehr als durch Verkehrsunfälle, HIV/Aids und Drogen zusammen.

Außerdem hat die Corona-Pandemie das Sterben neu in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt. Das aus Kriegszeiten bekannte Schreckensbild eines elenden, einsamen Todes wurde gerade zu Beginn der modernen Seuche in den Altenheimen wieder real. In einer gestreamten Gesprächsrunde aus dem Sepulkralmuseum forderten Experten aus unterschiedlichen Religionen im November 2020, der Kultur des Abschieds einen höheren Wert beizumessen. „Das Sterben ist eine Lebensphase, die nicht minderwertig, sondern hochbedeutsam ist“, sagte der Heidelberger Altersforscher Andreas Kruse. Das Verlassen dieser Welt mit der Vorbereitung auf den „Übergang“ gehöre mit zum Größten, was ein Mensch erlebe.

Der Direktor des Museums, Dirk Pörschmann, ist auch Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal. Er warb Mitte November 2021 für eine Lockerung der Friedhofspflicht. „Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass man eine Urne für eine bestimmte Zeit bei sich zuhause hat und sie dann auf einem Friedhof beisetzt“, sagte Pörschmann der „Deutschen Handwerks-Zeitung“. In Holland werde das von vielen Hinterbliebenen praktiziert. „Man könnte also durchaus über temporäre Möglichkeiten nachdenken“, so Pörschmann.

Unterdessen haben maßgebliche Institutionen und Verbände im deutschen Friedhofswesen eine Charta Friedhofskultur unterzeichnet – und zwar im Museum für Sepulkralkultur. Das Manifest formuliert den Wert der Friedhofskultur für die Gesellschaft. Der erste der elf Leitsätze der Charta lautet: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine würdevolle Bestattung auf dem Friedhof und ein anerkennendes Gedenken.“

Doch der Tod hat nicht nur würdevolle Seiten. Im Oktober 2018 wurde Besuchern im Sepulkralmuseum zum Thema „Aberglaube und Tod“ ein eher makabres Angebot gemacht: einmal Probeliegen in einem Sarg oder auf einer Totenbahre? Wer das gerne möchte, konnte dies tun. „Das ist natürlich für ganz Wagemutige“, sagte damals Kuratorin Ulrike Neurath. In früheren Zeiten hätte sich dies wahrscheinlich niemand getraut, denn damit hätte man möglicherweise „den Tod auf sich selbst gezogen“.