Waren die Rebellen revolutionäre Klassenkämpfer oder gewalttätiger Pöbel? Vor 500 Jahren erschütterte der Bauernkrieg große Teile Deutschlands. Der Bundespräsident spricht von einem Massenaufstand für Freiheit und Recht.
Blockierende Traktoren, brennende Reifen und dampfende Misthaufen auf Straßen. In vielen Ländern Europas protestierten Bauern im vergangenen Jahr gegen Öko-Auflagen und die Kürzung von Agrar-Subventionen. “Bauernaufstand”, titelten die Zeitungen. Manche Medien sprachen gar vom “Bauernkrieg 2.0”.
Solche Schlagzeilen knüpften an Ereignisse an, die vor 500 Jahren Deutschland an den Rand einer sozialen Revolution brachten. Von 1524 bis 1525 wütete vor allem im Süden Deutschlands sowie in Thüringen und Hessen der Deutsche Bauernkrieg.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach am Wochenende von einem “Massenaufstand für Freiheit und Recht, wie es ihn in West- und Mitteleuropa bis zur Französischen Revolution nicht mehr geben sollte”. Einer der Höhepunkte: Die Verabschiedung der “Zwölf Artikel”, auf die sich 50 Vertreter der Allgäuer, Baltringer und Bodenseer Bauern im März 1525 in Memmingen verständigten. Ein Manifest der Freiheit, das den Boden für spätere demokratische Entwicklungen in Deutschland bereitete, wie der Bundespräsident bei einer Festveranstaltung mit 1.000 Teilnehmern in der bayerisch-schwäbischen Stadt erklärte. Unter anderem forderten die Bauern die Abschaffung der Leibeigenschaft und damit ihre Freiheit. Aber auch die freie Wahl der Pfarrer, das Recht auf Jagd, Fischfang und Holz aus den Wäldern und weniger Frondienste.
Es gärte damals in Deutschland: Zwar hatte es seit dem Spätmittelalter mehrfach regionale Bauernunruhen gegeben. Doch diesmal fraß sich ein Schwelbrand durch viele Regionen des Reiches. Der erste große Volksaufstand auf deutschem Boden. Das Leben der Bauern – 80 Prozent der Bevölkerung – war von Not und extremen Ungerechtigkeiten geprägt: hohe Abgaben an Feudalherren und Kirche, unentgeltliche Frondienste, Leibeigenschaft. Die Fürsten setzten ihre Macht immer stärker durch; traditionelle Rechte und Freiheiten der bäuerlichen Gemeinden wurden ausgehöhlt. Dazu kamen Missernten und eine seit Ende der großen Pest wachsende Bevölkerung, die um Wohlstand und Lebensmittel konkurrierte.
Auch die Reformation lieferte einen zusätzlichen Zündfunken: Luthers Bibelübersetzung gab dem Bauernprotest Durchschlagskraft, schreibt der Historiker Heinz Schilling. 1520 veröffentlichte der Reformator auch seine Schrift “Von der Freyheith eines Christenmenschen”. Viele Bauern fühlten sich durch sie unterstützt – und das, obwohl Luther diese Botschaft ausschließlich religiös verstanden wissen wollte. Reformatoren wie Ulrich Zwingli oder Prediger wie Thomas Müntzer freilich sahen das anders: Für sie lieferte die Bibel die Begründung, auch für mehr Gerechtigkeit auf Erden zu kämpfen.
Die Bauern empörten sich, formierten sich zu paramilitärischen “Haufen”. Allmählich breiteten sich die Aufstände aus. Plünderungen machten weder vor Klöstern noch vor Burgen Halt. Die Fronten verhärteten sich. Auf der einen Seite die gut bewaffneten und ausgebildeten Heere der Ritter. Auf der anderen Seite die unerfahrenen, mit Dreschflegeln und einfachen Stichwaffen bewaffneten Haufen der Bauern. Geschätzt 200.000 Bauern und Bürger erhoben sich.
1525 eskalierte die Gewalt: Am 16. April stürmten rund 6.000 aufgebrachte Bauern die Stadt Weinsberg bei Heilbronn. Am Ostersonntag richteten sie den Burgkommandanten Ludwig von Helfenstein und 15 Ritter hin. Luther reagierte mit seiner Schrift “Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern”: Die Fürsten sollten die Bauern “zerschmeißen, würgen, stechen” und sie erschlagen, “wie man einen tollen Hund erschlagen muss”.
Die Bauernhaufen hatten keine Chance: Historiker schätzen rund 70.000 Tote sowie zwischen 2.000 und 10.000 Hinrichtungen. Auch ganze Dörfer werden bestraft, zum Beispiel indem die Glocken aus den Türmen genommen und die Kirchtürme niedergerissen werden. Im thüringischen Frankenhausen kam es am 14. Mai 1525 zu einer der entscheidenden Schlachten. Hier wurden die Aufständischen unter Thomas Müntzer durch ein Fürstenheer vollständig besiegt – mehr als 6.000 Bauern starben. Im Herbst 1525 war der Bauernkrieg beendet, in der Alpenregion 1526.
Die langfristigen Folgen sind bei Historikern umstritten: Zwar kamen die Herren den Forderungen der Bauern in einigen Regionen entgegen. Mancherorts wurden Leibeigenschaft und Todfallabgabe abgeschafft und die Heiratsfreiheit zugelassen. Der Historiker Peter Blickle schreibt, dass die Revolte, auch durch die Memminger Zwölf Artikel, langfristig zur Abschaffung der Leibeigenschaft führte – allerdings war das etwa in Preußen erst 1807.