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Städel zeigt Max Beckmann als Zeichner

Soldaten schießen mit Gewehren aus einem Fenster, im Raum liegen Zivilisten am Boden, einer mit zerstörtem Auge hat den Mund aufgerissen. Max Beckmanns Zeichnung „Die Letzten“ aus der Folge „Die Hölle“ von 1919 vermittelt auch durch die groteske Darstellungsweise die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Sie ist in der Retrospektive „Beckmann“ zu sehen, mit der das Städel-Museum in Frankfurt am Main erstmals in Deutschland nach 40 Jahren eine Auswahl der Zeichnungen des Künstlers präsentiert.

Beckmann (1884-1950) hatte sich zu Kriegsbeginn freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet. Seine Zeichnungen aus den Kriegsjahren sind zunächst bildhaft komponiert. Bald weichen sie reduzierten Blättern, die ungeschminkt das Bild des Krieges zeigen, wie in „Marode Soldaten“ (1914). Beckmanns Werk sei geprägt von den Krisen und Umstürzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, erläutert Städel-Direktor Philipp Demandt. Dabei gibt der Künstler weit mehr als das politische Geschehen wieder. Die Ausstellung zeigt auch Selbstporträts, Akte, Alltagsszenen und mythologische Darstellungen.

Rund 80 Werke präsentiert das Städel vom 3. Dezember bis 15. März 2026 aus allen Schaffensphasen Beckmanns, von wenig bekannten Blättern bis hin zu herausragenden Hauptwerken. Ergänzt werden die Zeichnungen um einzelne farbige Arbeiten, Druckgrafiken und Gemälde. Die Ausstellung verfolgt in sechs Kapiteln Beckmanns künstlerische Entwicklung von der frühen Berliner Zeit, über die Jahre in Frankfurt am Main, die Zäsur des Nationalsozialismus, das Exil in Amsterdam bis zu den letzten Lebensjahren in den USA.

Die Schau dokumentiere wie ein Tagebuch die künstlerische Entwicklung eines der bedeutendsten Künstler der Moderne, erklärt Demandt. Beckmann sei zeit seines Lebens „ein begnadeter, energischer, dynamischer Zeichner“ gewesen. Seine Zeichnungen gäben einen Einblick in sein Innenleben und machten seine künstlerische Entwicklung unmittelbar erfahrbar. Augenfällig wird dies etwa im Vergleich der verschiedenen Selbstporträts. Im zweiten Kriegsjahr 1915 zeichnet Beckmann sich mit ernstem, starren Blick, es scheint nicht das Gesicht eines 31-Jährigen, sondern eher das eines doppelt so alten Mannes zu sein.

Das „Selbstbildnis mit Sektglas“ (1919), eines der wenigen Ölgemälde der Schau, macht mit der Lokalszene das Ende des Krieges deutlich, vermittelt aber durch die verzerrten Formen einen Eindruck von der Instabilität der neuen Zeit. Nach der schon 1940 erstrebten, aber erst 1948 erreichten Einwanderung in die USA schildert der von den Nationalsozialisten als „entarteter Künstler“ bezeichnete Beckmann seine Suche nach einer neuen Identität. In dem „Selbstbildnis mit Fisch“ (1949) zeichnet er sich mit kräftigen Strichen mit Cowboyhut und Holzfällerhemd.

Beckmann sei über die Darstellung der Realität hinaus einer der Künstler der Neuzeit gewesen, der am stärksten eine neue Mythologie gesucht habe, ergänzt der Co-Kurator Stephan von Wiese. Ein Beispiel in der Schau ist die Zeichnung „Abtransport der Sphinxe II“ von 1946. Der Abtransport der „unheilbringenden Ungeheuer“ ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs kommt aber nicht vom Fleck, die Zugwesen sitzen am Boden.

Dem Unheil des alten Kontinents konnte Beckmann schließlich in die USA entkommen, nachdem er ab 1937 die Nazizeit in Amsterdam in Unsicherheit überlebt hatte. Nach dem gelungenen Neuanfang starb er schon gut zwei Jahre später Ende 1950. Zeitgleich zur Ausstellung wird das dreibändige Werksverzeichnis sämtlicher rund 1.900 schwarz-weißen Zeichnungen Max Beckmanns von Hedda Finke und Stephan von Wiese im Dezember veröffentlicht.