1600 Kilometer von Hannover zum Mont Ventoux in Südfrankreich hat Christian Retschlag im vergangenen Frühjahr zurückgelegt – mit dem Fahrrad. Während der Tour und am Ziel hat der Künstler und Gewinner des Sprengel-Preises 2023 des Landes Niedersachsen zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos gemacht, die bis März im Sprengel-Museum Hannover gezeigt werden.
Schon das erste Motiv in der Ausstellung „Mont Ventoux“ überrascht: Zu sehen sind 23 Messer, die Retschlag auf seinen Übernachtungsstationen unter anderem in Bodenwerder und Hann. Münden morgens beim Frühstück vorfand. Jedes Messer hat der 36-Jährige im Maßstab 1:1 vor weißem Hintergrund einzeln abgebildet, die Fotos im länglichen Format hängen neben- und übereinander.
Orangina und Zuckerwürfel im Bild
Auch andere Objekte, etwa eine Flasche Orangina, die auf Fotos gezeigt werden, wirken je nach Sichtweise originell oder seltsam. Auf einem Bild hat Retschlag sieben braune Zuckerwürfel übereinander gestapelt und dann abgelichtet. Auf einem anderen Foto ist eine Wolke zu sehen, darunter der Text „Die Mittagskanone von Nizza am 26. Mai 2023“. Auf einem großformatigen Bild erkennt man auf den ersten Blick nur ein Meer von Hochhäusern, auf denen sich beim näheren Hinsehen Menschen auf ihren Balkonen und Dachterrassen drängen, die alle in dieselbe Richtung schauen – wohin genau erfährt man erst durch den Titel „Der Große Preis von Monaco“.
Ins Auge sticht auch „Der Mistralfänger“: Ein Mensch hat eine Art Angel senkrecht auf den Boden gestellt, an der ein Beutel befestigt ist. Der Wind bläst den Beutel auf und verdeckt das Gesicht der Person – ein Versuch, den starken Wind auf dem Berg im Bild einzufangen.
Den Blick nach innen richten
Das Ziel seiner Reise hat der in Hannover lebende Retschlag bewusst gewählt: Der 1900 Meter hohe Mont Ventoux in der Provence wurde schon von den Kelten als heiliger Berg verehrt. Der Dichter Francesco Petrarca bestieg ihn mit seinem Bruder im Jahr 1336 – dieses Datum gilt heute als Geburtsstunde des Alpinismus. Petrarca war fasziniert vom einmaligen Blick: Bei gutem Wetter kann man das Meer sowie die Gipfel der Alpen und der Pyrenäen sehen. Auf seinem Weg studierte er „Confessiones“ des Kirchenvaters Augustinus. Dessen Weisung, angesichts der Größe der Naturschauspiele den Blick nach innen zu richten, machte sich Petrarca zu eigen. Auch Retschlag wählt für seine Tour und das Leben am Berg weitgehend die Einsamkeit, Menschen tauchen auf seinen Fotos selten auf.
Für den passionierten Radfahrer hat der Mont Ventoux noch eine Bedeutung: Er liegt häufig auf der Strecke der Tour de France. Für ihn ein Grund, selbst mit dem Fahrrad anzureisen, um zu erleben, wie es ist, wenn man vier Wochen täglich viele Stunden auf dem Fahrrad zubringt. Vom Berg gibt es kaum Fotos zu sehen. Wichtiger scheinen dem Künstler andere Eindrücke zu sein, wenn er zum Beispiel einen Skorpion, einen Flamingo, oder ein Segelschiff ablichtet.
„Häufig sind es Kleinigkeiten, die Erinnerungen an einen Urlaub wachrufen“, sagt Retschlag. „Ich glaube, dass meine Reise zum Mont Ventoux mir zukünftig ähnliches ermöglichen wird: Gedanken und Ideen, die sich noch ausformen werden und immer einen Funken der Erinnerung an diese Reise enthalten werden.“
Die Ausstellung ist bis zum 3. März im Sprengel-Museum Hannover (Kurt-Schwitters-Platz) zu folgenden Zeiten zu sehen: dienstags 10-20, mittwochs-sonntags 10-18 Uhr.