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Spaniens heiliger Newcomer unter den Touristen-Städten

Die 26.000-Einwohner-Stadt Caravaca de la Cruz im Südosten Spaniens ist als Pilgerort international eher weniger bekannt. Dabei hat sie viel zu bieten, was auch immer mehr Besucher aus Deutschland anzieht.

Andächtig geht Pfarrer Norbert Hofmann hinter dem Reliquienschrein, der auf einem mobilen Prozessionsaltar durch die mittelalterlichen Gassen von Caravaca de la Cruz gezogen wird. Vier bewaffnete Tempelritter flankieren die Kreuz-Reliquie. Dahinter folgen Hundertschaften verschiedener christlicher Ritterorden, aber auch muslimischer Soldaten.

Es ist weit nach Mitternacht. Doch Zigtausende Gläubige säumen den Prozessionsweg – Jugendliche, Familien mit Kleinkindern, alte Menschen. “Was wir hier erleben, ist einfach überwältigend. Es ist eine ganz andere, viel aktivere Art, den Glauben zu leben. Eine Lebensfreude, die aus der Glaubensfreude kommt”, schwärmt Pfarrer Hofmann. Gefühlt sei hier jeder Einwohner als Maure oder traditioneller Christ verkleidet und in Musikgruppen engagiert, erzählt der katholische Geistliche. Die Prozessionen dauern bis 2 Uhr morgens. Um 9 Uhr sind alle wieder in der Morgenmesse.

Mit 60 Personen ist der Pfarrer aus dem hessischen Obertshausen im Mai zu den Kreuz-Feiern in den südspanischen Wallfahrtsort gereist. Es ist das dritte Mal. “Und von Mal zu Mal werden es mehr Gemeindemitglieder, die Caravaca und sein Kreuz-Fest kennenlernen möchten”, so Hofmann.

Dafür ist vor allem Luis Galvez verantwortlich. Der aus Caravaca stammende Spanier, dessen Eltern in den 1960er Jahren als Gastarbeiter nach Obertshausen kamen, machte seine Heimatstadt in der deutschen Gemeinde bekannt. Er organisiert Pilgerreisen, stellte länderübergreifende Partnerschaften her.

International ist Caravaca de la Cruz als Pilgermagnet bisher wenig bekannt. Dabei ist die Kleinstadt im Hinterland der Mittelmeerregion Murcia durchaus interessant. Hier befindet sich in der Basilika eine der weltweit bedeutendsten Reliquien des Christus-Kreuzes. Das doppelarmige Brustkreuz mit zwei Holzsplittern in Zahnstocher-Größe trägt den Namen “Vera Cruz” (Wahres Kreuz), um es von den vielen “falschen” Reliquien zu unterscheiden, die seit dem Mittelalter im Umlauf sind.

Caravaca zählt überdies zu den wenigen katholischen Pilgerorten weltweit, die – ähnlich wie in Rom – ein Heiliges Jahr feiern dürfen. 2024 ist ein solches Jahr in Caravaca. Doch kaum jemand außerhalb der Region weiß das. “Wir sind eine Art Newcomer unter den heiligen Pilgerstätten. Erst 1998 erhielten wir von Papst Johannes Paul II. das Privileg, ab 2003 alle sieben Jahre ein Heiliges Jahr ausrufen zu dürfen”, erklärt Pfarrer Emilio Andres Sanchez Espin, Rektor der Basilika.

Johannes Paul II. gewährte dem Ort gar ein Heiliges Jahr “in perpetuum”. Sprich, Pilger erhalten auch außerhalb des Jubeljahres einen Erlass von Sündenstrafen, wenn sie unter Einhaltung bestimmter Regeln zur Reliquie pilgern.

Caravaca mag unter den “heiligen Stätten” relativ jung sein. Doch die Ursprünge als Wallfahrtsort gehen auf das 14. Jahrhundert zurück. “Im 16. und 17. Jahrhundert lebten hier mehr Geistliche als normale Bürger”, sagt Priester Emilio scherzend. So beeindruckt die Altstadt auch heute noch mit einem prachtvollen Kirchenensemble, aus dem vor allem die Renaissancekirche El Salvador hervorsticht.

Der Erzbischof von Jerusalem soll die Reliquie vom Christus-Kreuz 1231 vor osmanischen Angreifern in Sicherheit gebracht haben. Die damit beauftragten Tempelritter flohen in Caravaca am 3. Mai 1232 vor den Mauren auf die Festungsburg, in der sich nun die Basilika befindet. Damals herrschten in der Gegend noch die muslimischen Mauren.

Der religiösen Überlieferung zufolge forderte deren König Abu-Zeid einen in Caravaca gefangenen Priester auf, ihm eine christliche Messe zu zeigen. Ohne das Symbol des heiligen Kreuzes könne er dies nicht tun, entgegnete der Geistliche. In diesem Moment sollen zwei Engel vom Himmel herabgestiegen sein, um ihm das “Lignum Crucis” zu geben. Von der wunderbaren Erscheinung überwältigt, ließ sich Abu-Zeid taufen.

Die Religionskämpfe aus jener Zeit werden jedes Jahr bei den Mai-Prozessionen mit prachtvoll geschmückten Pferden nachgespielt. Auch am 14. September finden eindrucksvolle Festlichkeiten zu Ehren des “Wahren Kreuzes” statt.

Deshalb ist auch Jose Mari Ardanaz Ezcurdia nach Caravaca gekommen. Der Pilger aus dem nordspanischen Pamplona ist begeistert von der einzigartigen Stimmung. Was ihn jedoch am meisten fasziniert: Massenaufläufe wie in Santiago de Compostela oder in Rom gibt es hier selbst im Heiligen Jahr nicht. Rektor Emilio lässt maximal sechs Personen gleichzeitig in den Raum mit der Reliquie. Zu den Pilgermessen holt er das Brustkreuz mit den Holzsplittern regelmäßig aus dem Schrein, damit jeder Gläubige es küssen kann.

“So etwas ist wahrscheinlich nur noch in Caravaca möglich”, sagt Pilgerexperte Jose Mari. Er kennt sich aus. Seit 2017 informiert er auf seiner Website elcaminopeople.com nicht nur über Spaniens Pilgerwege, sondern bietet auch organisierte Pilgerreisen an.

Die Pilgerwege müssten aber noch besser ausgebaut werden, gibt er zu. Tatsächlich gerieten Caravaca und seine insgesamt neun Pilgerwege lange Zeit in Vergessenheit. Einerseits, weil der Jakobsweg nach Santiago international in Mode kam. Andererseits ging die Reliquie von Caravaca verloren: Sie wurde 1934 gestohlen – und tauchte nie wieder auf.

“Da die Verehrung jedoch so tief in der Bevölkerung verankert war, schickte uns Papst Pius XII. 1942 zwei neue Splitter vom Jesus-Kreuz aus dem Vatikan”, erklärt Luis Melgarejo Armada, Vorsitzender der katholischen Bruderschaft des Heiligen und Wahren Kreuzes. 6.000 aktive Mitglieder zählt die Gruppe – in einer Stadt mit knapp 26.000 Einwohnern.

Unter ihnen spüre man das einzigartige Verhältnis zu “ihrem” Kreuz, meint der deutsche Pfarrer Norbert Hofmann. Die Gastfreundschaft, mit der ausländische Besucher empfangen würden, sei “gelebter, offener Glaube”.