Die Debatte um sexuelle Belästigung von Frauen, die unter dem Begriff #MeToo („ich auch“) im letzten Jahr bekannt wurde, hat die Kirchen erreicht. Frauen schreiben unter dem Hashtag #ChurchToo („auch in der Kirchen“) über Diskriminierung im religiösen Kontext.
Von Markus Kowalski
Es begann mit einer Nachricht von Hannah Paasch und Emily Joy aus den USA. Sie riefen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter unter dem Hashtag #ChurchToo – auch in der Kirche – Frauen dazu auf, über sexuelle Gewalt, Belästigung und Übergriffe in kirchlichen und religiösen Räumen zu berichten. Seit November letzten Jahres schreiben Betroffene online darüber. Eine Frau: „Ich wurde von einem Mitglied meiner Kirchengemeinde missbraucht, als ich neun Jahre alt war. Der Pastor und meine Eltern sagten mir, dass ich ihm vergeben müsse, weil es das sei, was Jesus tun würde. Sie zwangen mich, meinen Vergewaltiger zu umarmen und ihm zu sagen, dass ich ihm vergebe.“ Nun ist die Debatte im deutschsprachigen Raum angekommen. Auf katholischer Seite äußerte sich der Jesuitenpater Klaus Mertes in der Süddeutschen Zeitung. Er sieht Parallelen zwischen der #MeToo- Debatte und dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. „Es geht nie um das Verbrechen eines Einzelnen. Es gibt immer ein zuschauendes System“, sagte Mertes. Er rief dazu auf, die Angst vor dem kritischen Blick auf sich selbst zu verlieren. „Jeder, der Teil eines solchen Systems geworden ist, muss sich fragen, warum habe ich das nicht gemerkt? Oder warum habe ich geschwiegen?“ Auf einem Blog der Reformierten Kirche im Kanton Zürich in der Schweiz wurde kontrovers diskutiert. Ein Nutzer schrieb: „Je größer das Machtgefälle und je unantastbarer die ‚in Amt und Würden‘ sind, desto größer ist die Gefahr von Amtsanmaßungen und Missbräuchen.“ Auch in der evangelischen Kirche hat die Debatte begonnen: Auf einem Jahrestreffen des Frauennetzwerkes des Lutherischen Weltbundes (WICAS) in der vorvergangenen Woche in Hannover haben Frauen aus lutherischen Kirchen in Westeuropa die „MeToo“-Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalt begrüßt. „Es ist mutig, dass die Frauen jetzt sprechen“, sagte die Gleichstellungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Kathrin Wallrabe. Dadurch sorgten sie dafür, dass sich die Täter für das Unrecht schämen müssten und die Opfer nicht noch die Schuld bei sich selbst suchten. Das Schweigen müsse gebrochen werden, sagte die Gleichstellungsbeauftragte der Hannoverschen Landeskirche, Hella Mahler. In den Kirchen gebe es mittlerweile eine Reihe von Schutzkonzepten und Hilfsangeboten, erläuterte die Pastorin, die auch die Ansprechstelle der Landeskirche zur Prävention sexualisierter Gewalt betreut. Immer noch litten die Opfer an Schuldgefühlen. „Das ist ein so tiefes Thema, dass wird noch Jahre brauchen, um damit umzugehen.“ Stefanie Hoffmann, Pfarrerin im Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte, möchte das Thema weiter verstanden wissen – auf einen Aspekt, der häufig nicht beachtet werde. Im Magazin „Zeitzeichen“ sagte sie: „Gelegentlich fühle ich mich auch im Raum der Kirche in eine Rolle gepresst – etwa wenn ich sagen soll, ob ich denn auch mal eine Familie haben will, wenn man mich bittet, den Kaffee zu holen, oder ich Sätze höre wie: ‚Sie sorgen für uns wie eine Mutter.‘“ Ihr habe auch schon einmal eine Frau eine Hand auf den Bauch gelegt – und gefragt: „Wann ist es denn so weit?“ Die #MeToo-Debatte könne dazu beitragen, dass das Bewusstsein wachse: „Sexistische Bemerkungen sind eine Form der Gewalt gegen Frauen“, so Hoffmann. „Kirche ist noch immer viel zu oft ein Männerverein“, kritisierte Marvin Gärtner, Student der Evangelischen Religionslehre aus Köln auf dem Debattenportal theologiestudierende. de. „Doch es ist an der Zeit, dass Männer eine andere Rolle einnehmen. In den biblischen Geschichten der Propheten sind wir das Volk, welches vom Weg abgekommen ist, Männer sind die Stadt, der Verwüstung prophezeit wird, aufgrund sündhafter Taten. Denn Sexismus und sexistische Gewalt ist Sünde. Es ist an der Zeit, dass wir Buße tun und umkehren.“ Gärtner fordert, Sexismus nicht nur zu verurteilen, sondern auch herablassende Witze im Kreis der Freunde und Kollegen nicht zu dulden. Männer müssten aktiv Frauen für wichtige Positionen vorschlagen und Podiumsdiskussionen, auf denen nur Männer sitzen, kritisieren und boykottieren. Männer könnten zudem „dran arbeiten, anderen und vor allem Frauen nicht mehr ins Wort zu fallen“ und den eigenen Redeanteil aktiv zu reflektieren. Zwar gibt es schon Ansprechpartner in den Landeskirchen für Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt – auch in der EKBO. Dies sind aber meist Ansprechpersonen, die aus arbeitsrechtlichen Gründen benannt werden müssen. Doch Pfarrerin Silke Radosh-Hinder vom Kirchenkreis Berlin Stadtmitte fordert mehr: „Wir planen in der EKBO eine Telefon-Hotline als Anlaufstelle für diejenigen, die von sexualisierten Übergriffen betroffen sind, und zwar für alle Betroffenen.“ Und die Debatte geht weiter. Seit einigen Woche diskutieren nun auch Musliminnen unter dem Hashtag #MosqueMeToo („ich auch in der Moschee“) über Belästigung während der Pilgerreise nach Mekka.