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SH: Vor 30 Jahren bekamen arme Menschen mit “Hempels” eine Stimme

In den meisten Städten in Schleswig-Holstein gehören die Verkäuferinnen und Verkäufer des Magazins „Hempels“ zum Straßenbild. Sie stehen in der Fußgängerzone, vor Supermärkten oder Bahnhöfen und halten das aktuelle Monatsheft in der Hand. In diesem Jahr feiert das Magazin, dessen Erlös Menschen in prekären Lebenssituationen zugute kommt, 30. Geburtstag. Mit einer Reihe von Veranstaltungen soll gefeiert werden. Den Auftakt bildet ein Festakt mit Vernissage zu einer Ausstellung über „Hempels“ in der evangelischen Kieler Kirche St. Nikolai am 11. Juli um 14 Uhr.

„Wir wollten damals den Alltag armer und ausgegrenzter Menschen sichtbarer machen“, sagte der Vorsitzende des Vereins „Hempels“, Jo Tein, am Montag in Kiel. Er war dabei, als im Juli 1995 in einer Tageswohnung für Wohnungslose der Kieler Stadtmission die Idee zu einem Straßenmagazin geboren wurde. Ein Jahr später erschien die erste von mittlerweile mehr als 350 Ausgaben, die sich fünf Millionen Mal verkauften. „Je mehr die Öffentlichkeit über diesen Personenkreis erfährt, desto größer ist die Unterstützung – das war unser Gedanke“, erklärte Tein.

Das Prinzip: Die Redaktion von „Hempels“ bringt monatlich ein etwa 40 Seiten umfassendes Heft heraus, der Schwerpunkt liegt auf sozialen Themen. Es gibt auch immer wieder Porträts von Menschen, die auf der Straße leben. Wer an der Armutsgrenze lebt und Interesse hat, kann die Hefte verkaufen. Die Hälfte des Verkaufspreises, also 1,60 Euro pro Heft, gehen direkt an die verkaufende Person. Mit 240 bleibt die Zahl der Verkäuferinnen und Verkäufer in Schleswig-Holstein seit Jahren konstant.

Alina aus Büdelsdorf bei Rendsburg kam vor einem Jahr zu „Hempels“. Die 29-Jährige und ihr Mann beziehen Bürgergeld. Mit verschiedenen Jobs verdienen sie sich etwas dazu. „Meine beiden Kinder lieben Musik und wollen ein Instrument lernen. Das kann ich ihnen mit dem Hempels-Verkauf ermöglichen“, sagte die gebürtige Rumänin.

Aber das Geld allein habe sie nicht zu „Hempels“ gezogen. Durch die Verkaufsgespräche spreche sie besser deutsch und lerne Leute kennen. „Viele Frauen kaufen ein Heft und kommen dann immer wieder. Mit manchen trinke ich auch mal einen Kaffee.“ Alinas Ziel ist es aber, bald auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und mit einer Ausbildung zur Friseurin zu beginnen.

Die meisten Verkäuferinnen und Verkäufer bleiben allerdings über Jahrzehnte bei „Hempels“, sagte Jo Tein. Es sei schwer, aus der Armut wieder herauszukommen. Dabei seien die Biografien ganz unterschiedlich und bedienten längst nicht nur die gängigen Obdachlosen-Klischees. Es gebe auch Akademiker, die psychisch erkrankten, ihren Job verlören und in die Armut rutschten. Auch Senioren verarmten oft im Ruhestand. „Hinzu kommen 27 Prozent derer, die aus dem Gefängnis entlassen werden. Diese Menschen landen direkt aus dem Knast in der Armut auf der Straße.“

Erfolgsgeschichten gibt es aber auch. So behandelt die aktuelle „Hempels“-Ausgabe den Weg eines Drogenabhängigen, der einige Jahre „Hempels“ verkaufte und dann den Entschluss fasste, sein Leben zu ändern. Seit zehn Jahren ist Dirk Wulf clean und arbeitet inzwischen als Lkw-Fahrer.

Er ist auf die „Hempels“-Familie nicht mehr angewiesen, viele andere aber schon. Jo Tein sieht es deshalb mit Sorge, dass die Auflagenzahl seit 2015 von 20.000 Heften auf aktuell 14.000 Hefte gesunken ist. „Das Medium Print steckt in der Krise, außerdem haben immer weniger Menschen Bargeld in der Tasche“, ist seine Erklärung.

Der Verein versuche deshalb, mit Sonderprodukten Alternativen anzubieten. Inzwischen sind auch Kochbücher und Jahreskalender von „Hempels“ auf dem Markt. Ende des Jahres will der Verein nach dem Vorbild der Straßenmagazine in Wien und Hamburg ein digitales Bezahlsystem einführen.

Mit „Hempels“ müsse es unbedingt weitergehen, findet Tein. „Die Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft leben, werden immer mehr. Unsere Aufgabe ist noch nicht beendet.“