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Sex, Scham und Revolutionen

Nicht nur für Juden und Christen ist die Bibel ein wichtiges Buch. Auch Geistes- und Naturwissenschaftler machen in ihr erstaunliche Entdeckungen

Die Bibel enthält historische Fakten, aber sie ist kein historischer Bericht. Vor allem ist sie ein Dokument des Glaubens, in dem es darum geht, wie Gott und Mensch zueinander stehen.
Man kann sich der Bibel aber auch mit Fragen nähern, die nicht direkt den Glauben betreffen. In dem neu erschienenen Buch „Geschichte von Adam und Eva“ verfolgt etwa der us-amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt die Spur des „mächtigsten Mythos der Menschheit“ durch Theologie, Literatur und Kunst bis heute. Und der Evolutionsbiologe Carel von Schaik entdeckt gemeinsam mit dem Historiker Kai Michel die Geschichte der Sesshaftwerdung der Menschheit im Buch der Bücher.

Evolution und Literatur im Buch der Bücher

Stephen Greenblatt nähert sich der biblischen Erzählung von Adam und Eva als Literaturwissenschaftler, der fasziniert ist von der Macht der Geschichten. Geschichten, so schreibt Greenblatt, sind eine Errungenschaft der Evolution; sie „waren nützlich, wo immer es darum ging, mit der Welt zurechtzukommen“. Und kaum eine Erzählung sei in der Menschheitsgeschichte so wirkmächtig geworden wie der jüdisch-christliche Schöpfungsmythos. Kein Wunder, handelt er doch davon, „wer wir sind, woher wir kommen, warum wir lieben, warum wir leiden“. Weil Menschen in der Lage sind, den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu erkennen und zu benennen, suchten sie nach einer Ur-Erklärung für Sex, Scham, Arbeit, Schuld und Tod.

Alle Kulturen erzählen Ursprungsmythen

Darum gibt es in allen Kulturen Mythen, die den Zustand der Welt aus ihrem Ursprung ableiten. Wie aber kam es zu dem so speziellen Mythos von Adam, Eva und dem Sündenfall? Und warum entwickelte er durch die Jahrtausende eine so gewaltige Wirkung?
Ihre in der Bibel festgehaltene Gestalt hat die Geschichte von Adam und Eva im 6. Jahrhundert vor Christus bekommen, als das jüdische Volk sich im Babylonischen Exil befand. Hier wurden sie mit der jährlichen rituellen Feier des babylonischen Schöpfungsmythos konfrontiert, in der Götter-Zeugung und Götter-Mord die Grundlagen des Lebens bildeten. Die Israeliten, die sich angesichts dieser religiösen Machtdemonstration mit der Frage auseinandersetzen mussten, was denn aus der Macht ihres Gottes geworden sei, fanden die Antwort in ihrer eigenen Schöpfungserzählung, so Greenblatt. Ihr Kern lautet: Jahweh, der  Gott Israels, ist der allmächtige Schöpfer der Welt. Alles, auch das Übel, das uns widerfährt, liegt ausschließlich in seiner Hand.
Keine Schlachten, kein Blut, kein Zeugungsakt – Gott erschafft aus dem Nichts; das Leben stammt aus seinem Atem. Und als das Geschöpf sich gegen seinen Schöpfer wendet, da besiegt es ihn nicht, wie in so vielen anderen Schöpfungsepen, sondern scheitert an der absoluten Souveränität Gottes – und empfängt seine Strafe. Alle Bedingungen des menschlichen Lebens folgen aus dieser einen Katastrophe, die der Mensch selbst verantwortet hat.
Stephen Greenblatt ist fasziniert von Geschichten, und er ist selbst ein Geschichtenerzähler. Seine Reise auf den Spuren der biblischen Schöpfungsgeschichte stellt er anhand von Ereignissen und Personen dar, deren Schicksal er fast schon romanhaft schildert. Dabei erklärt er unter anderem, wie der zunächst leibfreundliche jüdische Mythos unter der Hand askesebesessener christlicher Theologen wie Augustin oder Hieronymus in sein Gegenteil verkehrt wurde: Der Sündenfall wurde zur Erbsünde und die Frau zu dessen Überträgerin – eine Interpretation, die bis heute nachwirkt.
Bei dieser Erzähllust ist es manchmal schwierig, den roten Faden nicht zu verlieren. Trotzdem ist das Buch unterhaltsam und voller lesenswerter Informationen über die Macht des jüdisch-christlichen Mythos, der unsere Einstellung zu Verantwortung, Freiheit und Moral bis heute prägt.

Überlebensvorteil durch Kooperation

Die Menschheitsgeschichte steht ebenfalls im Zentrum des zweiten Buches, dem „Tagebuch der Menschheit“ von Carel van Schaik. Der Autor ist Naturwissenschaftler und Agnostiker, und sein Interesse gilt den Spuren der Evolution, die sich in der Bibel finden lassen. Evolution versteht er dabei weniger als biologische denn als soziologisch-kulturelle Entwicklung: Der Mensch hat seinen Siegeszug nicht angetreten, weil er sich körperlich an die äußeren Bedingungen angepasst hat, sondern weil er besonders gut mit anderen kooperieren kann. Davon erzählen nach Meinung von van Schaik und seinem Mitautor Kai Michel auch die biblischen Geschichten.

Religion als Strategie der Gemeinschaft

Wir finden darin nicht nur Glaubenswahrheiten, sondern auch den Niederschlag der wohl bedeutendsten Revolution der menschlichen Geschichte: der Entwicklung vom Jäger und Sammler hin zu einer sesshaften Bauerngesellschaft. Diese grundlegende Veränderung führte zu jeder Menge Schwierigkeiten: Hunger, Krankheiten, soziale Ungleichheit als Folge der Erfindung des Landbesitzes sowie Gewalt. Sie brachte aber auch Strategien zur Bewältigung der Probleme hervor: Religion, Moral und Recht gehören dazu. Wie sich diese kulturellen Überlebensfaktoren entwickelt haben, davon erzählen die „ebenso wunderlichen wie wunderbaren“ Geschichten der Bibel,  so die These van Schaiks. Der jüdisch-christliche Gott hat darin eine doppelte Rolle: die des gerechten Herrschers wie auch des barmherzigen Beschützers. Und die war bis in die Gegenwart evolutionär gesehen erfolgreich, meint der Naturwissenschaftler.

Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit. Siedler-Verlag, 448 Seiten, 24,99 Euro.

Carel van Schaik, Kai Michel: Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät, Rowohlt-Verlag, 576 Seiten, 14,99 Euro.