Freude und Wertschätzung im Alter: Klaus Gengenbach hat auch mit 71 Jahren nicht genug vom Berufsleben. Als ehrenamtlicher Experte ist er in fernen Ländern unterwegs, um Firmen mit seinem Wissen zu unterstützen.
60 ist angeblich das neue 40 und 70 das neue 50. Wer in Rente oder Pension geht, ist jedenfalls nicht automatisch “alt” und der Arbeit müde. Im Gegenteil: Zahlreiche Menschen suchen sich nach dem Rentenbeginn neue Aufgaben – und manch einen zieht es dafür ins Ausland. So wie Klaus Gengenbach. Der 71-Jährige gebürtige Stuttgarter lebt mit seiner Frau in Berlin – mehrere Wochen im Jahr ist er allerdings in der Welt unterwegs. Gengenbach ist einer von rund 15.000 ehrenamtlichen Experten des in Bonn ansässigen Senior Expert Service (SES). “So erfährt man neue Wertschätzung und hat das Gefühl, noch gebraucht zu werden”, sagt Gengenbach. “Das tut vor allem im Alter sehr gut.”
Der SES schickt Fach- und Führungskräfte im Ruhestand zu Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländer, um diese mit Know-how zu unterstützen. Das Prinzip dabei lautet “Hilfe zur Selbsthilfe”. “In vielen Ländern ist es nicht machbar, sich Beratung einzukaufen”, erklärt Marion Sodemann, die Geschäftsführerin des SES. “Deswegen treten Unternehmen oder Organisationen als Auftraggeber mit ihrem Bedarf an uns heran und wir schlagen dann eine entsprechende ehrenamtliche Expertin oder einen Experten vor.” Passe alles, erfolge dann der Einsatz.
Seit seiner Gründung vor gut 40 Jahren, 1983, hat der Senior Expert Service eigenen Angaben zufolge mehr als 60.000 ehrenamtliche Einsätze in 170 Ländern durchgeführt. Ein Drittel davon erfolgte in Deutschland. Inzwischen wird die Organisation in 85 Ländern von knapp 200 Mitarbeitenden repräsentiert.
Unter anderem das Bundeswirtschaftsministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördert den Know-how-Transfer. Aber auch die Auftraggeber selbst – das können neben kleinen und mittleren Unternehmen zum Beispiel auch öffentliche Verwaltungen oder Bildungseinrichtungen sein – werden an den Kosten beteiligt. Sie zahlen etwa die Unterkunft und Verpflegung der Experten vor Ort und entrichten einen Obolus als Lohnersatz.
Gengenbach, ein groß gewachsener Mann mit breiten Lächeln, mag das Wort “Ruhestand” nicht. Er nennt es lieber “Unruhestand”. “Ich liebe Abwechslung und muss immer etwas zu tun haben”, sagt der 71-Jährige. Seinen ersten Einsatz für den SES absolvierte er 2016 im ukrainischen Riwne. Inzwischen sind zahlreiche dazugekommen: in Indonesien, Marokko, Laos, Uganda oder Madagaskar. Gengenbach hat Jahrzehnte in der Tourismusbranche gearbeitet und war unter anderem Marketingchef der Hotelkette Robinson Club, eine Tochter des Reisekonzerns TUI. Seinen Beruf hat der Wahl-Berliner immer als sehr erfüllend erlebt; heute will er sein geballtes Wissen weitergeben.
In Madagaskar war Gengenbach in diesem Jahr zum Beispiel schon zum fünften Mal. Er betreut dort zwei Reiseveranstalter, die jeweils Radurlaube anbieten und auf deutsche Touristen spezialisiert sind. Gengenbach half ihnen, ihre Akquise weiter zu professionalisieren und Messe-Auftritte vorzubereiten. Außerdem unterstützte er die Firmen dabei, ihre Mitarbeitenden im Umgang mit europäischen Gästen zu schulen. “Deutsche wollen es zum Beispiel immer genau wissen und halten sich stark an das Programm”, berichtet Gengenbach. “Wenn etwas nicht stattfindet oder es eine Änderung gibt, wollen sie dafür eine gute Erklärung hören.”
Nary Andriarimalala ist der Geschäftsführer von Malagasya Travel in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo, er erklärt: “Gengenbach ist richtig vom Fach, er hat uns wirklich geholfen.” Seine Reiseleiter hätten jeden Tag mit deutschen Urlaubern zu tun, dabei komme es auch hin und wieder zu Konflikten. “Wie geht man mit Reklamationen um? Wie reagiert man auf vor Ort gezeigte Mängel und wie handhabt man Unstimmigkeiten in der Gruppe selbst”, nennt Andriarimalala einige Beispiele und schiebt hinterher: “Das sind wichtige Themen.”
Denn wenn Reiseleiter dem Anspruch der deutschen Gäste und ihrem Hunger nach Informationen nicht gewachsen seien, sei das häufig ein Grund für Unzufriedenheit und Reklamationen. “Da sind deutsche Touristen gnadenlos”, sagt Andriarimalala.
Der Firmenchef hat in Madagaskar Deutsch als Fremdsprache studiert und später ein Jahr an der Universität Bielefeld an seiner Magisterarbeit gearbeitet. Während er die deutsche Kultur und Mentalität also aus eigener Anschauung kennt, waren viele seiner Reiseleiter noch nie in der Bundesrepublik. “Es ist ein Riesen-Vorteil, von einem Experten erklärt zu bekommen, wie die Deutschen ticken”, sagt er. Und weiter: “Zwischen Madagaskar und Deutschland, da ist eine Welt. Menschen wie Gengenbach bringen die zwei Länder aber ein bisschen näher zusammen.”
Gengenbach selbst bereitet sich auf seine Einsätze gewissenhaft vor. An die Verwaltung im ukrainischen Riwne schickte er im Vorfeld seines Besuchs etwa 20 detaillierte Fragen – erhielt allerdings nie eine Antwort. Er fasst sich an die eigene Nase: “Deutsche wie ich neigen dazu, es überperfekt machen zu wollen. Die Ukrainer fanden meine Fragen aber fast schon investigativ”, erinnert er sich.
Gengenbach wusste schließlich nicht einmal, wer ihn an welchem Treffpunkt abholen würde. “Aber ich hab mir gedacht, dass schon irgendjemand da sein wird”, erinnert sich der frühere Manager. Und so war es auch: Ein “reizendes Pärchen” habe ihn mit Namenschild empfangen.
“Zum Job eines SES-Experten gehört auch ein hohes Maß an Flexibilität”, stellt der 71-Jährige fest. Die und seine Neugier bringt Gengenbach aus seinem früheren Berufsleben mit. Nun genießt er es, mehr Zeit an einem Ort zu haben. “Ich kann mich heute ganz anders mit Land und Leuten auseinandersetzen, als das früher der Fall war. Da bin ich sehr zweckorientiert gereist.”
Als SES-Experte sehe er nun auch die nicht so schönen Seiten, erlebe den Alltag des Gastlandes und bekomme einen anderen Zugang. Den möchte er nicht missen: “So lange es meine physischen Kapazitäten zulassen, kann ich mir das noch vorstellen.” Nach Madagaskar ist ihm seine Frau nun schon zwei Mal nachgereist – im Anschluss an seinen Einsatz verbrachten sie einen gemeinsamen Urlaub in dem Inselstaat vor der Südostküste Afrikas. Seine nächsten Einsätze hat Gengenbach dabei stets schon fest im Blick.