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Schriftstellerin Flasar über Einsamkeit und Humor

Ein Roman über Isolation könnte finster und deprimierend sein. “Oben Erde, unten Himmel” ist das Gegenteil: frisch, zuversichtlich und schwarzhumorig. Autorin Milena Michiko Flasar liegen die existenziellen Themen.

Suzu datet, jobbt und lebt eher halbherzig – bis sie eher versehentlich bei der Firma von Herrn Sakai anheuert, die die Wohnungen von Verstorbenen entrümpelt. Diese wunderbar leichtfüßige Geschichte erzählt Milena Michiko Flasar in ihrem neuesten Roman “Oben Erde, unten Himmel”, für den sie am Mittwoch in Kassel mit dem Evangelischen Buchpreis ausgezeichnet wird. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die Schriftstellerin über den Umgang mit Einsamkeit in Gesellschaft und Kunst.

KNA: Frau Flasar, was bedeutet Ihnen der Evangelische Buchpreis?

Flasar: Für mich ist er eine wunderbare Auszeichnung. Da er ein LeserInnen-Preis ist, empfinde ich ihn als ein direktes Feedback, welches aber nicht nur mir und meinem Buch, sondern den darin vorkommenden Figuren gilt. Ich nehme den Preis zusammen mit Fräulein Suzu und Herrn Sakai entgegen, die die zwei tragenden Säulen meines Romans “Oben Erde, unten Himmel” sind. Dass er trotz seines schwierigen Themas – er handelt vom so genannten “Kodokushi”, dem einsamen Sterben – so viel Zuspruch erhält, verstehe ich als eine positive Bestätigung.

KNA: Seit der Corona-Pandemie wird viel über Einsamkeit gesprochen. Wie würden Sie Einsamkeit definieren?

Flasar: Einsamkeit ist ein Gefühl, das jeder kennt. Wir alle haben es schon einmal erlebt und wir alle sind mehr oder weniger davon erfüllt. Insofern ist Einsamkeit paradoxerweise nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gemeinschaftliche Angelegenheit. Sie mag viele Namen haben und viele Gesichter, gerade das macht sie aber auch zu einem Thema, das uns als großes Ganzes betrifft. Um es vereinfacht zu formulieren: Wo ein Einzelner einsam ist, ist es in gleichem Maße die Gesellschaft, die ihn umgibt.

Natürlich gibt es auch eine Form der selbst gewählten Einsamkeit. Es gibt Menschen – wie meine Figur Suzu -, die gerne alleine sind. Da wir aber soziale Wesen sind, die noch im Kleinsten voneinander abhängen, ist es ebenso wichtig, zumindest die Möglichkeit eines freundlichen Miteinanders bei der Hand zu haben. Herrn Sakais Frage zu Beginn meines Buches – “Kennen Sie ihre Nachbarn?” – ist, finde ich, eine der Kernfragen, die wir uns zu stellen haben. Damit ist nicht bloß der- oder diejenige gemeint, der oder die nebenan wohnt, sondern auch der Bäcker, unser Partner oder unsere Partnerin, der Teil von uns, der im Dunkeln liegt.

KNA: Hat sich der Umgang mit diesem Thema zuletzt gewandelt?

Flasar: Das Augenmerk ist da, und auch das Bewusstsein, etwas ändern zu müssen, ist da. Ob beides letztlich zu einer “großen” Wandlung im Umgang mit solchen Problemen führt, bleibt allerdings noch abzuwarten. Ich denke, eine “kleine” Wandlung kann aber schon jetzt stattfinden – in unserem Alltag und in unserer persönlichen Achtsamkeit dem anderen gegenüber. Oft reichen ja schon kleine Gesten und Worte, um jemand anderem zu signalisieren, dass er nicht alleine ist.

KNA: Zu Beginn Ihres Romans ist auch Hauptfigur Suzu recht einsam. Sind junge Menschen anders einsam als alte?

Flasar: Die Einsamkeit im Alter hat etwas Naturgemäßes. Oft sind es körperliche Einschränkungen, die es einem nicht mehr erlauben, etwas so zu tun, wie man will, oder man hat bereits liebe Angehörige und Freunde verloren. Bei jungen Leuten handelt es sich hingegen eher um eine Einsamkeit inmitten des prallen Lebens. Trotz der Überfülle an Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten scheint es einen Mangel an echter Verbindlichkeit zu geben. Zu schnell passiert es, dass man einander “wegwischt” oder “wegklickt”. Sowohl bei den Alten als auch bei den Jungen wäre es wünschenswert, wieder anschließen zu können an das Gefühl, für jemanden Sorge zu tragen, für ihn verantwortlich zu sein und auch für sich selbst Kraft daraus zu schöpfen.

KNA: Der Wandel beginnt für Suzu durch die Begegnung mit dem Tod. Haben Sie ein Faible für existenzielle Themen?

Flasar: Unbedingt. Und ich denke, dass es in der Kunst – ob Literatur, Film oder Musik – immer um Existenzielles geht. Sonst würden wir sie nicht konsumieren. Liebe und Tod – das sind DIE Themen, die uns, egal in welcher Verpackung, letztlich am meisten beschäftigen. Den Tod begreife ich in dem Zusammenhang als eine Verlängerung des Lebens. Wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen, setzen wir uns mit dem Leben auseinander, das wir im Hier und Jetzt führen.

KNA: Warum faszinieren Einzelgänger und Einzelgängerinnen in der Kunst oftmals so?

Flasar: Da sie am Rand der Gesellschaft angesiedelt sind, zeigen sie Probleme auf, die nicht nur dort, wo sie stehen, also im Abseits, sondern auch im Zentrum der Gesellschaft ihren Ursprung haben, und wir blicken durch ihre Augen darauf. Dies erlaubt eine fremde Perspektive. Die vermeintlich Glücklichen und Gesunden schlüpfen in unbequeme Schuhe und dürfen ein Stück weit erfahren, was es bedeutet, in ihnen zu laufen. Wir lernen Mitgefühl daraus. Vielleicht ist es das, was die Faszination ausmacht.

KNA: Auch wenn es um ernste Themen geht, ist Ihr Roman von Leichtigkeit durchzogen. Wie kann man beides in Balance bringen?

Flasar: Ich denke, die Balance ergibt sich aus der einfachen Erkenntnis, dass im Leben beides – sowohl Schwarz als auch Weiß – stets Hand in Hand geht. Es gibt quasi keinen traurigen Moment, der nicht auch ein Lachen in sich birgt. Wer einen Menschen verliert, der ihm lieb gewesen ist, der erinnert sich voller Wehmut an die Vergangenheit. Gleichzeitig erinnert er sich an das Komische, das man gemeinsam erlebt hat, an gewisse Scherze und Sprüche, die noch heute ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Bei meiner Arbeit versuche ich dem Rechnung zu tragen, indem ich gerade dort, wo es ernst und schwer wird, ein wenig Humor und Leichtigkeit miteinfließen lasse.

KNA: Wie wichtig ist Humor in schwierigen Momenten?

Flasar: Humor ist eine grundlegende Fähigkeit. Man muss über alles Mögliche lachen können, auch über sich selbst. Wer ist schon perfekt? Wenn man mit einem weinenden Auge über eigene Unzulänglichkeiten lacht, nimmt das, finde ich, einen großen Druck aus bestimmten Situationen.

KNA: Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass man Trigger-Warnungen zu Beginn von Romanen stellt? Ist es notwendig?

Flasar: Nein, ich halte das prinzipiell für eine unnötige Sache. Ich habe die Diskussion darüber zwar nicht mitverfolgt, das Wenige, das ich mitbekommen habe, ist mir aber – gerade als Autorin – fremd. In der Literatur geht es nicht immer “sauber” zu. Manchmal werden Themen angeschnitten, die den Leser bzw. die Leserin unangenehm berühren. Das gehört dazu. Ein Buch ist immerhin kein Zigarettenpäckchen. Es bringt einen nicht um, wenn man mal mit empfindlichen Inhalten konfrontiert wird.

Andererseits bietet eine Triggerwarnung möglicherweise auch Sicherheit in der Auswahl der Lektüre, gerade wenn man zum Beispiel psychisch vorbelastet ist und entsprechend sensibel auf Schilderungen von Gewalt reagiert. Es gilt hier wohl eine vernünftige Balance zu finden.

KNA: Haben Sie Tipps gegen die Einsamkeit? Oder müssen wir sie als Teil des Lebens akzeptieren?

Flasar: Die uns Menschen innewohnende existenzielle Einsamkeit zu akzeptieren, ist sinnvoll. Dann aber wohnt uns auch die genauso existenzielle Sehnsucht nach Nähe und Verbindung inne. Ich muss dabei an Herrn Sakai denken, der sich nicht davor scheut, sich jemandem “aufzubürden”. Sowie er bereitwillig hilft, fordert er auch bereitwillig Hilfe ein. “Beziehung” hat seiner Meinung nach mit “Brauchen” zu tun. Er sagt: “Ich brauche Sie”. Und dies mitzuteilen – auch wenn es schwerfällt – ist vielleicht der erste Schritt aus der Isolation.