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Schrei nach Menschlichkeit

Die Auszeichnung erhalten in diesem Jahr zwei mutige Weltbürger: der Arzt Denis Mukwege aus dem Kongo und die Jesidin Nadia Murad. Sie war selbst Opfer des „IS“

FRANKFURT A. M./OSLO – Nach der Bekanntgabe der Friedensnobelpreisträger 2018 gab es Lob und Anerkennung von vielen Seiten. Besonders deutliche Worte fand  Regierungssprecher Steffen Seibert: Der kongolesische Arzt Denis Mukwege und die Jesidin Nadia Murad aus dem Irak stünden, so sagte er im Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, für „einen Schrei nach Menschlichkeit“.
„Schrei nach Menschlichkeit“ – mit der Preisvergabe würdigt das norwegische Nobelkomitee den Beitrag von Mukwege und Murad zur Bekämpfung von sexueller Gewalt als Waffe in Kriegen und Konflikten. „Wir wollen die Botschaft aussenden, dass Frauen als Kriegswaffen missbraucht werden, dass sie Schutz brauchen und dass die Täter verfolgt werden müssen“, sagte die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Berit Reiss-Andersen, in Oslo.

„Weltweit gehörte Stimme für die Opfer“

Die Auszeichnung für Mukwege und Murad wurde international begrüßt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte den Preisträgern. „Mit Ihrer Unerschrockenheit haben Sie die Aufmerksamkeit der Welt auf das Problem der furchtbaren Vergewaltigungen in Kriegen gelenkt“, schrieb er an den Arzt Mukwege. Der jungen Jesidin Murad dankte er mit den Worten: „Sie haben es geschafft, den Opfern eine weltweit gehörte Stimme zu geben.“ UN-Generalsekretär António Guterres sicherte den Preisträgern seine Unterstützung im Kampf gegen sexuelle Gewalt zu.
Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte: „Wir haben Verantwortung, Frauen zu schützen, uns für Gerechtigkeit und Strafverfolgung einzusetzen und Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung zu verhindern und zu ahnden.“
Das Nobelkomitee würdigte, dass die Preisträger die Aufmerksamkeit der Welt auf sexuelle Kriegsverbrechen gelenkt und dabei ihre persönliche Sicherheit aufs Spiel gesetzt hätten.
Der 63-jährige Gynäkologe Mukwege operiert im Ostkongo vergewaltigte und schwer verstümmelte Frauen. Er galt schon seit Längerem als Anwärter auf den Friedensnobelpreis, 2013 hatte er bereits den Alternativen Nobelpreis erhalten.
Die heute 25 Jahre alte Jesidin Murad war vor vier Jahren im Irak von islamistischen Terroristen verschleppt worden. Sie sei eine Zeugin, die über die von ihr selbst und von anderen erlittenen Gräueltaten berichte. „Sie hat ungewöhnlichen Mut bewiesen, indem sie ihr eigenes Leiden geschildert und im Namen anderer Opfer gesprochen hat“, erklärte das fünfköpfige Nobelkomitee.
Über ein Programm für traumatisierte Flüchtlinge kam Murad nach Deutschland. Sie lebt in Baden-Württemberg und engagiert sich als UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel. Sie sei eine von schätzungsweise 3000 jesidischen Frauen und Mädchen, die der Gewalt der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ausgeliefert waren, erklärte das Nobelkomitee.

„Wichtiges Signal für alle Jesiden“

Mukwege reagierte tief bewegt auf die Auszeichnung:  „Ich war gerade am Operieren, als ich hörte, wie die Leute anfingen zu weinen, es war so berührend“, sagte er. „Ich kann in den Gesichtern von vielen Frauen sehen, wie glücklich sie sind, wahrgenommen zu werden“, betonte er.
Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland nannte den Preis für Murad „überfällig“. Die Auszeichnung gehe an alle jesidischen Frauen, sagte die stellvertretende Vorsitzende Zemfira Dlovani. Der Psychologe und Trauma-Spezialist Jan Ilhan Kizilhan hält den Friedensnobelpreis für Murad für ein wichtiges Signal an alle Jesiden. Kizilhan hatte Murad ärztlich betreut, nachdem sie sich wie andere Frauen aus der Gewalt von IS-Terroristen befreien konnte. „Diese Auszeichnung ist sicher auch Anerkennung, dass dieser Völkermord an den Jesiden passiert ist, und stellt auch sowas wie Gerechtigkeit dar“, sagte er dem SWR.
Auf die Frage, ob die Preisvergabe im Zusammenhang mit der internationalen #MeToo-Kampagne gegen sexuellen Missbrauch stehe, sagte die Komiteevorsitzende in Oslo, die Aufklärung von Kriegsverbrechen gegen Frauen und #MeToo seien nicht ganz dasselbe. „Aber beides hat zum Ziel, Missbrauch sichtbar zu machen und Frauen dazu zu bringen, Vorstellungen von Schande hinter sich zu lassen und über das zu sprechen, was ihnen angetan wurde“, sagte Reiss-Andersen. Nadia Murad ist erst die 17. Frau, die den Friedensnobelpreis erhält. Er wird am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel (1833-1896), in Oslo verliehen. epd