Ein steilerer Aufstieg ist im deutschsprachigen Schauspiel kaum denkbar: Stefanie Reinsperger gehört zum Berliner Ensemble und ist “Tatort”-Kommissarin. Doch sie kennt auch die Schattenseiten der Öffentlichkeit.
Ab Donnerstag ist Stefanie Reinsperger (35) in der Mini-Serie “Haus aus Glas” zu sehen: Als eine Industriellenfamilie zu einer Hochzeit zusammenkommt, treten alte Verletzungen, Ängste und Konflikte zutage. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die Schauspielerin über diese neueste Produktion und über ihren Einsatz gegen Diskriminierung.
KNA: “Haus aus Glas” erzählt die Geschichte einer unglücklichen Millionärsfamilie… Was hat Sie an dieser Produktion gereizt?
Reinsperger: Auf jeden Fall die Art, wie die Drehbücher geschrieben sind: so kammerspielartig und mit ungewöhnlich langen Spielszenen. Die Serie zirkuliert so um diese Familie, dass man als Schauspielerin ganz viele tolle Konflikte zu spielen hat – das ist ein totales Geschenk.
KNA: Die Serie ist ein Ensemblestück mit sechs gleichwertigen, stark besetzten Hauptrollen – war es schwer, sich da nicht gegenseitig an die Wand spielen zu wollen?
Reinsperger: Nein, gar nicht. Weil das eben alles nicht nur sehr starke Spieler_Innen sind, sondern auch sehr kluge. Und weil jeder und jede von uns wusste, wann er oder sie welches Instrument zu spielen hat, wann der eigene Einsatz ist. Das sind ja große und auch schwere Szenen, die da zu spielen waren. Aber im Endeffekt hat sich das so einfach und leicht angefühlt, weil das alles so tolle, professionelle Herzensmenschen sind.
KNA: Wählen Sie bewusst Rollen aus, die gegen das Klischee geschrieben sind? War Ihre Figur der Eva eine solche Rolle?
Reinsperger: Das Wundervolle bei den Drehbüchern war, dass bei keiner der Rollen eine äußerliche Beschreibung dabei stand. Es stand dabei, welche Fähigkeiten sie haben, was ihre Konflikte sind, welche Berufe sie ausüben – damit kann ich spielen. Aber ob ‘ne Figur jetzt blond oder schwarzhaarig ist – da weiß ich dann nicht, was ich spielen soll. So eine äußerliche Beschreibung macht halt meine eigene Fantasie gleich total klein. Ich bin mehr daran interessiert, was eine Rolle für innere Zerrissenheiten und Konflikte hat. Ich wähle Projekte aus, wo mich die Regie interessiert, die Zusammenarbeit, und es Spielraum gibt, dass ich mich einbringen kann. Wo es eine Fantasie gibt zu der Figur – und zu mir.
KNA: Was mochten Sie an der Figur der Eva – und ist sie Ihnen vielleicht sogar ähnlich?
Reinsperger: Das ist ja immer ein bisschen ein Geheimnis, wie viel von mir in den Rollen steckt. Was ich bei Eva faszinierend fand, war, dass sie als eine der wenigen in dieser Familie die Dinge gerne sehr direkt und laut ausspricht, manchmal auch, ohne vorher zu denken. Die macht sich damit ja nicht nur Freunde, liefert sich den Konflikten aus. Und das fand ich dann schon herausfordernd, denn das ist jetzt mal ein bisschen weiter weg von mir. Das hat sie mir aber sehr sympathisch und bewundernswert gemacht. Ich finde das toll, wenn ich von Rollen was lernen kann.
KNA: Sie haben 2022 das Buch “Ganz schön wütend” veröffentlicht: Was macht Sie wütend?
Reinsperger: Ungerechtigkeit macht mich wütend. Und mich macht wütend, wenn Menschen nicht zuhören, das finde ich sehr bedenklich. Wir leben in einer Zeit, in der es so wichtig wäre, wirklich zuzuhören, statt immer sofort über alles so drüberzudreschen mit der eigenen Meinung. Mich macht Ungleichheit wütend. Und dass wir uns im Feminismus immer noch sehr langsam voranbewegen und manche Menschen das noch immer negieren, dass es eine Ungleichbehandlung gibt zwischen Männern und Frauen. Das wäre so eine kleine Auswahl… .
KNA: Ist das strukturelle Patriarchat in der Film- und Theater-Branche heute weniger mächtig? Oder funktioniert es vielleicht nur subtiler?
Reinsperger: Ich sehe da noch nicht so viel Veränderung. Die Menschen, die die Stoffe auswählen, sind immer noch überwiegend weiße, heterosexuelle Männer. Ich finde das interessant, wenn heute manche Männer sagen: “Hilfe, die ganzen Frauen jetzt, die nehmen uns die Jobs weg!”. Echt jetzt?! Ich habe nicht den Eindruck, dass die Jobs auch nur ansatzweise Hälfte-Hälfte verteilt sind. Klar, es gibt ein paar mehr Filme mit Frauen in der Hauptrolle. Aber dann hat den Stoff womöglich wieder ein Mann geschrieben, betreut den Stoff ein Redakteur, und verfilmen tut’s auch wieder ein Mann. Das ist doch was völlig anderes, als wenn wir wirklich gleichberechtigt von Anfang an den Stoff entwickeln.
Solange sich die Entscheidungsträger – und das gendere ich jetzt absichtlich nicht ! – nicht ändern, wird sich in der Fantasie für die Stoffe nichts ändern! Aber das ist dann eben das Subtile, dass man heute sagen kann: “Ja, aber jetzt gibt’s doch mehr Filme mit Frauen in den großen Rollen!”
KNA: Ihr Buch handelt auch davon, wie Sie beleidigt wurden für Ihren Körper, der nicht den gängigen Modelmaßen entspricht. Wie kann man sich gegen Hater wehren?
Reinsperger: Ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, ich habe da ein Rezept oder einen Zauberstab für alle. Weil jeder Mensch da anders mit umgeht. Was mir geholfen hat: Dass ich mir erlaube, wütend zu sein, und das nicht einfach runterschlucke. Das ist mein Weg, den ich für mich gefunden habe, der mich sehr befreit hat – dass ich laut werden durfte und konnte.
Natürlich hab ich immer wieder Tage, wo dann doch der Kommentar zu viel kommt. Das sind dann Momente, wo ich auch wieder sehr tief falle, weil’s mich verletzt – ich bin da nicht komplett abgepanzert. Aber es ist auf jeden Fall weniger geworden, auch weil ich mich anders schütze, mein Social Media anders unter Kontrolle habe als früher. Dann werden halt Konten blockiert oder ich melde die auch, wenn mich übergriffige Nachrichten erreichen. Generell würde ich mir natürlich eine wesentlich empathischere, respektvollere Gesellschaft wünschen.
KNA: Was wäre ein Weg zu einer solchen Gesellschaft?
Reinsperger: Das ist wie mit allem, was wir in unserer kleinen Blase nicht kennen: Wir müssen uns informieren, einander zuhören. Vielen Menschen ist das zum Beispiel ganz neu, dass es Fettfeindlichkeit gibt, dass die stattfindet, im Netz, auf der Straße, im Alltag, in der Schule, im Kindergarten, dass das ganz früh anfängt. Aber es gibt natürlich auch ganz viele Themen, wo ich wiederum zu wenig drüber weiß.
KNA: Stichwort Wokeness: Für manche ist das zum Schimpfwort geworden, ein Synonym für übertriebene Sensibilität und Cancel Culture – wie ist das für Sie konnotiert?
Reinsperger: Das ist neu, dass jetzt viele Menschen die Kraft und den Mut haben, laut zu werden. Davon sind wir – auch ich – oft überfordert. Aber es ist so lohnend, sich dem zu stellen. Also nicht, sich 15-Sekunden-Stories im Internet dazu reinzuziehen, dieses gefährliche Halbwissen. Ich finde das so gut, wenn man sich wirklich traut, tief in Gespräche reinzugehen und auch in den Konflikt, in der Familie, im Freundeskreis, und zumindest zuzuhören, woher diese Bedürfnisse und Ängste kommen. Und es kann sein, dass man am Ende des Gesprächs feststellt: “Puh, ich trage als Person dazu bei, dass dieser Status quo herrscht.” Und dann liegt es an uns selber, zu fragen, was kann ich ändern?
KNA: Das klingt anstrengend …
Reinsperger: Schon, aber es ist auch so bereichernd. Wir sind so eine bunte, vielfältige Gesellschaft, das ist so wundervoll. Ich sage immer: Ich persönlich habe ja die Menschheit noch nicht aufgegeben ! Ich finde, dass wir eigentlich ziemlich tolle, coole Wesen sind, die echt viel erreichen können. Häufig machen wir nicht so gute Sachen, passiert auch jetzt gerade wieder. Aber eigentlich – und das vergessen wir oft angesichts der Nachrichtenlage – ist das Konzept “Mensch” ein ziemlich tolles.